„Davon glaube ich kein Wort!“

Erwin Schrödinger in der Anekdote

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
„Davon glaube ich kein Wort!“
 
Erwin Schrödinger in der Anekdote

 Von Ernst Peter Fischer

 
Der Mut zur Blamage
 
Historisch betrachtet war es Werner Heisenberg, der 1925 als erster in einer Nacht auf Helgoland den Weg zu einer neuen Physik der Atome finden konnte. Ihm folgte 1926 der aus Wien stammende Erwin Schrödinger, der bei einem Urlaub in Arosa eine zweite (gleichwertige) Formulierung zu Papier brachte, mit der sich das Verhalten der Atome beschreiben und berechnen ließ. Abgesehen davon, daß die beiden Revolution der Physik an Orten stattgefunden haben, an denen Menschen sonst Ferien machen, kann bei dem später als Schöpfer einer Katze berühmt gewordenen Schrödinger noch erwähnt werden, daß er seinen kreativen Winterurlaub in den Schweizer Bergen nicht mit seiner Ehefrau, sondern mit einer Freundin verbracht hat, die neun Monate später einer Tochter zur Welt bringen wird. Schrödinger hat es gerne mit den Frauen getrieben, auch in den Jahren des Zweiten Weltkriegs, als er vor den Nazis nach Irland geflohen war und sich in Dublin unter anderem der Frage widmete, „Was ist Leben?“. Das Buch mit den dazugehörenden Vorlesungen ist nach 1945 erschienen, hat den damals einsetzten Schwung der neuen Biologie befeuert und wird hier erwähnt, um zwei Aspekte erzählen zu können. Zum einen schreibt Schrödinger im Vorwort etwas, was mehr Wissenschaftler seines Kalibers berücksichtigen sollten. Er schreibt nämlich, daß ihm sehr wohl klar ist, als Physiker an der gestellten Frage zu scheitern, die ja zu einer anderen Disziplin gehöre. Aber jemand muß schon den Mut aufbringen, sich zu blamieren, wenn jemals ein interdisziplinäres Gespräch in Gang kommen soll. Und zum zweiten läßt Schrödinger auch erkennen, das die Frage „Was ist Leben?“ neben der wissenschaftlichen auch eine erotische Dimension hat und seine damalige Liebe zu einer Irin ihm die Antwort ganz leicht macht, wie jeder und jede verstehen wird, ohne Physik zu kennen.
       Nach dem Zweiten Weltkrieg bleibt Schrödinger erst einmal in Dublin, bis sein Vaterland ihn 1956 ruft und bittet, doch nach Wien zurückzukommen. Er willigt ein und strahlt über das ganze Gesicht, als der Zug am Ende seiner Rückreise von der Insel in den Bahnhof einfährt und eine dichte Menschenmenge dort versammelt ist und fröhlich Landesfahnen schwenkt. Schrödinger ist gerührt, er öffnet die Wagentür und will aussteigen, um die Huldigungen entgegen zu nehmen, als ihn jemand packt und weg schiebt. „Bittschön, der Herr, machen´s Platz, gleich kommt der Toni Sailer“, also der Skiläufer, der gerade bei den Olympischen Spielen drei Goldmedaillen gewonnen hat.
       Übrigens – bei all seiner amourösen Umtriebigkeit blieb Schrödinger als verheirateter Mann, der manchmal auch nachmittags mit der Gattin daheim war und brav Tee trank. Eines Tages in den 1920er Jahren bemerkte Frau Schrödinger, daß sich die Blätter nach dem Umrühren immer in der Mitte auf dem Boden der Tasse sammelten, und sie fragte ihren gelehrten Gatten, ob er diese schöne Bewegung erklären könne. Schrödinger steckte damals tief in den Verwicklungen der Atomphysik, und so fielen ihm die Blätter lästig, was ihn aber nicht daran hinderte, Albert Einstein anzurufen und um Rat zu bitten. Einstein fand das Thema spannend und konnte sogar nach einigem Nachdenken nicht nur das zentrale Versammeln von Teeblättchen in einer umgerührten Tasse, sondern mit gleichen physikalischen Mechanismen auch die Krümmung von Wasserläufen in Schlangenlinien auf der Erdoberfläche erklären. Einstein hat seine Überlegungen sogar publiziert, und sie lassen sich in seinem Buch „Mein Weltbild“ unter der Überschrift „Die Ursache der Mäanderbildung der Flußläufe und des Baerschen Gesetzes“ nachlesen. Kein hinreißender Titel, aber ein hinreißender Text.
 
© Ernst Peter Fischer