Denker - Macher - Wuppertaler

Friedrich Engels – Ein Gespenst geht um in Europa

von Johannes Vesper

Friedrich Engels: Denker - Macher - Wuppertaler
 
Das Gespenst des Kommunismus geht in Europa nicht mehr um. Zwar macht sich die Wissenschaft heute erneut Gedanken über die Zeit jenseits des Kapitalismus, aber nicht deswegen, weil die kommunistischen Gedanken von Friedrich Engels ihre Macht endlich entfaltet und den Kapitalismus besiegt hätten. Engels, der große Publizist des 19. Jahrhunderts, der Industriellensohn und kommunistische Republikaner, begründete zusammen mit Karl Marx den Kommunismus. In Wuppertal steht er seit 2014, 3,85 m hoch, 1,18 m breit, 1,12 m tief und 868 kg schwer als Bronzekoloss in unmittelbarer Nähe seines nicht mehr existenten Geburtshauses. Die Skulptur wurde von der Volksrepublik China geschenkt, damit deren nach Europa reisende Touristen ein Selfie mit ihrem Idol nach Hause schicken können. 1820 wurde Friedrich in Barmen (heute Wuppertal) geboren. Zeit also für ein 200jähriges Jubiläum, welches im Engelsjahr 2020 in Wuppertal mit zahlreichen Veranstaltungen begangen wird.

In der Kunsthalle Barmen widmet sich die Ausstellung „Friedrich Engels: Ein Gespenst geht um in Europa“ der historischen Person des 19. Jahrhunderts wie dem ganzen Menschen Friedrich Engels. Aus welcher Familie er stammte, wie er gelebt, geliebt und auf Barrikaden gestanden hat wird mit umfangreichem Ausstellungsmaterial und im Katalog dokumentiert. Gedankenwelt und Rezeptionsgeschichte seines Werkes stehen nicht im Fokus der Ausstellung.
 
Mit der Schrift des 18jährigen, den „Briefen aus dem Wuppertal“, in der er das „schreckliche Elend unter den Fabrikarbeitern“ des damals größten Industriegebiets Deutschlands aufs Korn nahm, war die intellektuelle Entwicklung schon erkennbar. Der 23jährige junge Friedrich schrieb den Aufsatz „Umrisse einer Kritik der Nationalökonomie“, beklagte bald die „zerstörerische Logik“ des Privateigentums und stellte die Frage nach der Berechtigung desselben. 1845 wurde Friedrich Engels von seinem Vater nach Manchester gesandt. Nach seinem 20monatigen Aufenthalt verfaßte er „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“, eine eindrückliche Reportage der dortigen sozialen Verhältnisse, in der er die Lage der „entmenschten, degradierten, intellektuell und moralisch zur Bestialität herabgewürdigte, körperliche kränkliche“ Bevölkerung beschreibt. Fromm und pietistisch war er in wirtschaftlich erfolgreichem Elternhaus zusammen mit acht Geschwistern erzogen worden. Vater Friedrich Engels sen. hatte 1837 in Manchester die Firma Peter Ermen u. Co und in Engelskirchen eine zweite Firma (Ermen und Engels) gegründet. Er erhoffte sich besseren Zugang zum internationalen Baumwollmarkt und neue Absatzmärkte. An wirtschaftlichen Erfolgen ließ Vater Engels seine Arbeiter, die allerdings mit ihren Kindern 12-16 Stunden täglich arbeiten mußten, teilnehmen und gründete 1850 eine Unterstützungskasse für sie.
 
Friedrich Engels absolvierte von 1838-41 eine kaufmännische Lehre in Bremen. Die Zeit dort nutzte er intensiv, las Goethe, Börne, zahlreiche Zeitungen, insgesamt wohl an die 200 Werke literarischer, philosophischer und religiöser Verfasser. Vor allem begann er zu publizieren, schrieb unter dem Pseudonym Friedrich Oswald für die „Augsburger Allgemeine“ oder für das „Morgenblatt für gebildete Leser“, lernte Stenographie und Fremdsprachen und entwickelte sich sozusagen autodidaktisch zu einem zunehmend einflußreichen Intellektuellen. Nicht immer nur im Kontor ochsend, ging er zum Fechten, komponierte Choräle (nicht richtig erfolgreich) und sang mit großem Engagement in der Bremer Singakademie, wo er als einziger Sänger mit Schnurrbart auf die Damen von Alt und Sopran Eindruck gemacht haben wird.
 
Aus der Zusammenarbeit mit Karl Marx - sie hatten sich 1842 in Köln kennen und 1844 in Paris schätzen gelernt - ergab sich 1847 das berühmte Kommunistische Manifest, in welchem unmittelbar vor der bürgerlichen Revolution von 1848/49 der gewaltsame Umsturz der bisherigen Gesellschaftsordnung propagiert wird. Friedrich beförderte die Revolution, stand als Redakteur der linken Neuen Rheinischen Zeitung in Elberfeld auf den Barrikaden, fordert eine Reichensteuer zur Versorgung der Aufständischen, stürmte mit Gleichgesinnten das Gräfrather Zeughaus, um Waffen zu erbeuten, hat vielleicht schwarzrotgoldene Revolutionsfahnen durch kommunistisch rote ersetzt und wurde jedenfalls vom revolutionären Regiment Elberfelds (!) der Stadt verwiesen. Flugs eilte er nach Baden um dort bei der Revolution mitzumachen. Inzwischen mit Haftbefehl und Steckbrief gesucht, hatte er Preußen noch rechtzeitig verlassen, floh nach Brüssel, wo er ebenfalls nicht willkommen war, fuhr weiter nach Paris und wanderte von dort zur Weinlese durch Burgund bis nach Genf. Im Detlef Vondes Essay mit wunderbaren Bildern des Elberfelder Malers Richard Seel vom berühmten deutschen Michel und einer Kopie vom Elberfelder Kreisblatt vom 19.05.1849 wird das revolutionäre Kuddelmuddel Elberfelds interessant beschrieben. Merkwürdig, daß in der Arbeiterstadt Barmen die Revolution überhaupt nicht stattgefunden hat.
 
Der Widerspruch im Leben von Friedrich Engels zwischen pietistisch-kapitalistischer Herkunft, seinem eher großbürgerlichem Lebensstil, seinen Einkünften aus der väterlichen Fabrik einerseits und seinen intellektuellen, revolutionär-kommunistischen Ideen und Schriften andererseits wird im Katalog zur Ausstellung deutlich. Mit den Einkünften als Unternehmer ist er jedenfalls in der Lage gewesen, alter ego und Freund Karl Marx jahrelang und regelmäßig finanziell zu unterstützen. Achtundvierzig Jahre alt, schied er am 01.07.1869 mit einer stattlichen Abfindung als Teilhaber aus der Firma Ermen in Manchester aus. Seinen Abschied vom Arbeitsleben hat er genossen, „schwang seinen Stock in der Luft, lachte mit dem ganzen Gesicht, tafelte festlich, trank Champagner und war glücklich“. Von seinem Vermögen konnte er gut leben und vererbte bei seinem Tod 1895 immerhin ca. 3.000 Pfund Sterling (entsprechen ca. 3 Millionen € heute.)
Als Rentier, Privatgelehrter, Publizist und geistiger Vater des Kommunismus begann er „nach der Fron in Manchester“ sein 2. Leben in London, ordnete den chaotischen Wust von Papieren Karls, verfaßte daraus den 2. Und 3. Band des „Kapital“, schrieb den Anti-Dühring und diskutierte bis ins hohe Alter „scharfzüngig, gewandt“, kompromißlos, wovon nicht immer alle in der Arbeiterbewegung begeistert waren. An der Entwicklung der Sozialdemokratie in Deutschland, also der Gründung der Sozialistischen deutschen Arbeiterpartei mit ihrem Gothaer Programm 1875 nahm er nur aus der Ferne teil.
 
Unter Freunden wurden seine Liebenswürdigkeit im „Menschlich-Allzumenschlichen, sein Humor, seine Ironie“ geschätzt (Johannes Rau 1970 zum 150. Geburtstag). Und Jenny, die Tochter von Karl Marx schrieb 1877, er habe „gewiß zu den wenigen großen Veränderern der Welt gehört und sei vielleicht der menschlichste unter ihnen gewesen, dem jegliches Herrschafts-, jegliches Machtstreben fernlag und nur bewegt wurde von seinem Glauben, auf dem rechten Weg zu einer gerechteren Welt zu sein.“
 
Der aufwendig gedruckte großformatige Katalog (38,5 x 24,2 cm) zur Ausstellung in der Kunsthalle Barmen bis 20.09.2020 bietet in siebzehn Essays (Dr. Lars Bluna, Thorsten Dette, Prof Dr. Noyan Dinçkal, Prof. Dr. Georg Fülberth, Heike Ising Alms. Dr. Jürgen Herres, Dr. Johann-Günther König, Marina Mohr, Dr. Tiago Mata, Prof. Dr. Wilfried Nippel, Prof em. Dr. Jürgen Reulecke, Reiner Rhefus, Dr. Regina Roth, Prof. Dr. Dorothea Schmidt, Dr. Robert Van Horn, Dr. Detlef Vonde, Prof. Dr. Clemens Zimmermann) mit einzelnen Unstimmigkeiten umfangreiches Material zu Biographie, Werk und Lebensorten. Schmerzlich vermißt wird ein Sachregister. Vater und Großvater ermöglichten mit großzügigen Spenden den Bau der Unterbarmer Hauptkirche. Die Gräber der Familie Engels finden sich auf dem Unterbarmer Friedhof. Die Beschreibung aller Engels´ Wirkungs- und Erinnerungsorte in Wuppertal lädt zum Spaziergang, die Literaturempfehlungen wie die zahlreichen Anmerkungen laden literarischer Beschäftigung mit diesem bedeutenden Geist des 19. Jahrhunderts ein.
 
In Ergänzung zur historischen, sozialgeschichtlichen Engels-Ausstellung wird das Von der Heydt-Museum im Herbst die Ausstellung „Vision und Schrecken der Moderne – Industrie und künstlerischer Aufbruch“ präsentieren und die künstlerischen Aspekte industrieller Revolution, Entwicklung und gesellschaftlicher Umbrüche seit Engels` Zeiten zeigen. Man darf gespannt sein!
 
Literaturempfehlungen zum Thema: Michael Driever – „Auf den Spuren von Karl Marx & Friedrich Engels“ , Reiseführer und
Ilona Jerger: Und Marx stand still in Darwins Garten Ullstein Taschenbuch, 5. Auflage 2019, 285 S. (vergnüglich).
 
Friedrich Engels – Ein Gespenst geht um in Europa
Begleitband zur Engelsausstellung 2020 (bis 20.09.2020) in Wuppertal (Kunsthalle Barmen). Herausgeber Dr. Lars Bluna
© 2020 Bergischer Verlag, 247 Seiten, 17 Essays, 209 Abbildungen - ISBN978-3-945763-90-2
24.-€
Weitere Informationen: www.bergischerverlag.de