Sommerstunden des Lebens (9)

Tagebuchblätter und Skizzen

von Gisela von Baum
Sommerstunden des Lebens

Tivoli, im September

Lieber Michael... Wie fleißig Du in Deinem Garten bist, er wird ein Schmuckkästchen sein; schade, daß ich nicht mal eben ein paar Deiner schönsten Blumen rauben kann für meine Vasen. -

Ich sitze auch in einem Garten, und Dein Brief läßt mich an viele andere Gärten denken, - die Gärten, - ich will Dir ein Lied von den Gärten schreiben: Gärten, sind sie nicht wie zivilisierte Menschen? - Ihr Kern ist die Natur, wir legen einen Zaun darum gegen allzu wilde Triebhaftigkeit und hegen und pflegen die Blüten und Bäume, die wir schätzen; und bemühen uns, die anderen auszumerzen oder mindestens niederzuhalten. - Da gibt es, je nach dem Eifer der Besitzer, sauber geputzte kleine Schmuckstücke oder verwilderte üppige Urwälder. -
Helle und bunte Gärten in ihrer Farbenpracht schimmern zu jeder Jahreszeit, ein geordnetes Durcheinander von blühenden Büschen und Stauden, - dunkle, feuchte Gärten mit Taxushecken und Brunnen, in bemooste Steine gefaßt, Pinien, die wie ausgebrannte Fackeln gen Himmel weisen, gerade, feierliche Gärten, in denen man nur schreiten kann, mit langen Wasserbecken, sprühenden Fontänen, Wegen und Alleen, wie mit dem Zirkel gezogen, mit einer ins Unendliche gehenden Perspektive, den unbegrenzten Machtwillen ihrere Bewohner andeutend. -

Im Garten der Ville d´Este sitze ich lange schon, entrückt, und sehe rauschende Gewändere durch die dämmrigen Gänge leuchten, höre Degenklirren, Lachen, Singen. - Knaben reichen Wein und Früchte.
Liebe, Haß, Eifersucht, Wehmut, Leid und Neid irren in starken Wellen durch die Grotten und Wege, das Wasser der Brunnen spiegelt heißes, gelebtes Leben. - Abends steige ich hinab in die blaugrüne Ebene der Campagne, und meine Augen folgen den rhythmisch schwingenden Bögen der Aquädukte, die ihre Konturen - langsam verblassend - in der Ferne verdunsten lassen. -



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Illustrationen: Gisela von Baum