Sommerstunden des Lebens (3)

Tagebuchblätter und Skizzen

von Gisela von Baum
Sommerstunden des Lebens

An der Oder, im Juli

Den anderen Abend erreiche ich einen Fluß, - eine Straße mit sanften Birken hat mich dahin geleitet. Die Fähre liegt still, so bleibe ich am Ufer sitzen, sehe dem ruhigen Fließen zu und träume. - Das Dörfchen schläft auf hohem Ufer. - Flußabwärts ein langer, dunkler Kahn und das Geräusch von fallenden Netzen, zuweilen ein Ruderschlag. - Ein Fluß hat mich noch nie gelangweilt, er trägt so vieles auf seinem geduldigen Rücken. Als Symbol des Lebens erscheint er mir mit seinem fortwährenden Strömen und Fließen, nur daß er die Kunst kennt, trotz allen Dahingleitens auch noch
Fluß zu sein, während ein Menschenleben vielfach nur aus flüchtigem Fließen zusammengesetzt ist. -
  
Im Frühling braust er, ein wilder Jüngling, der alle Einzäunungen zerreißt, und dessen Farbe trübe ist von all dem aufgewühlten Grund, im Sommer ist er Ruhe und Reife, die Wärme ausstrahlt und sicher trägt. Ein Fluß ist Ursprung, Ende und Dasein zugleich - welcher Mensch könnte das von sich behaupten! - Ich bleibe drei Tage und helfe dem Fährmann bei seiner Arbeit; spreche ein paar Worte mit den Menschen, die zu Wagen oder zu Fuß kommen, um überzusetzen.


Oberländische Seen, August

Ich treibe im Boot auf stillen Wasserwegen, die ohne Strömumg die Seen verbinden, Seen, die wie große Augen den Himmel trinken. - Jungfräuliche Flut, nur von meinem Boot durchschnitten, sich nach einer kleinen Unruhe schweigend wieder schließend. -
Hast Du einmal ein Boot besessen, so wirst Du verstehen, daß man es lieben kann, fast wie einen Menschen, mit seinen Launen und seiner Verläßlichkeit. Es will von Dir gelenkt und gepflegt sein, dafür teilt es alle Deine Erinnerungen und kleinen Abenteuer, oft fühlst Du Dich versucht, ihm eine Seele zuzugestehen. -

So treiben wir gemeinsam auf unserer schmalen Wasserstraße, umsäumt von Bäumen, die wilde Wurzeln haben wie Schlangen, die im Todeskampf erstarrt sind und nicht mehr die schützende Wasserfläche erreichen. Unter ihrem Blätterdach warte ich das Ende des Gewitterregens ab, sehe dem Spiel der Tropfen zu, die lauter winzige Springbrunnen aus dem glänzenden Spiegel machen, dann kleine Kreise ziehen, bis der nächste kommt. -
Im Dämmerlicht treibt eine Brise mein Boot, - ich habe mit Regenmantel und Zeltstangen eine Fock gesetzt; sie plustert sich auf, ich kann schweigend rauchen, ein leichter Druck am Steuer hält das Boot in Fahrt. -



Folgen Sie unserer jungen Freundin morgen weiter durch ihre "Sommerstunden des Lebens"!
Illustrationen: Gisela von Baum