Was alles wir der chinesischen Fledermaus verdanken

Aus meinem Corona-Logbuch IV

von Michael Zeller

Michael Zeller - Foto © Ryszard Kopczynski
Michael Zeller
 
Was alles wir der chinesischen Fledermaus verdanken
 
Corona-Logbuch Folge 4
 
In der vorigen Folge meines Corona-Logbuchs habe ich mich über die Sprache ausgelassen, mit der in Deutschland diese epochale gesellschaftliche Krise verhandelt wird. Daß dabei der eigene Wort-Schatz fast vollkommen links liegen gelassen wird, zugunsten eines oft verballhornten Englisch, habe ich beklagt.
Jetzt wollte ich aber doch wissen, wie im übrigen Europa sprachlich mit Corona umgegangen wird. Zunächst fragte ich bei Freunden in Italien nach. Aus gutem Grund. Im Lateinunterricht, beim Übersetzen von Cicero-Sätzen, ist mir als Junge das Wesen von Sprache überhaupt erst aufgegangen. Das war eine große geistige Herausforderung für den Sechzehnjährigen. Ohne diese frühe Begegnung mit Latein wäre ich vermutlich kaum Schriftsteller geworden.
Die Antworten, die aus Italien kamen, waren erschütternd. Buchstäblich: Das schlug dem Faß die Corona ins Gesicht. Sowohl Olivia aus Vicenza als auch Flavio aus Rom betätigten mir den gleichen Befund: Auch in ihrem Land ignorieren Regierung und Medien die eigene Sprache und weichen in ein löchriges Englisch aus.
Sogar das gute, alte lateinische Wort Virus spricht der Außenminister aus dem Lande Vergils und Dantes auf Englisch aus, als Vairus. Ob er sich damit vielleicht im Hause Trump als Friseur andienen will? Und Flavio, der Römer, meinte als Kommentar zu der freiwilligen Selbstverstümmelung der Sprache in seinem Land: Der Unterschied zwischen den europäischen Idiomen werde in Bälde nur noch in den verschiedenen Akzenten bestehen, mit denen Englisch-Amerikanisch gesprochen werde, als Verständigung von Franzosen, Schweden, Polen, Ungarn, Russen, Spaniern, Ukrainern. 
Nichts gegen Englisch als lingua franca, wie das Latein des Mittelalters. Wunderbar. Dafür ist es bestens geeignet.
Aber alles gegen Englisch als Ersatz der europäischen Muttersprachen!
Dann senkte Nacht sich übers Abendland. Die kulturelle Attraktivität Europas bestand für die anderen Kontinente seit je in seiner reichen (auch sprachlichen) Vielfalt. Corona zeigt jetzt: Das ist längst mehr als gefährdet. Daß dieser Prozeß sich ausgerechnet zur gleichen Zeit vollzieht, da der amerikanische Stern selbst im Untergehen begriffen ist, könnte man tragisch nennen. 
Umso heller kann das Licht aus dem Osten einfallen: von China.
Die Fledermaus tut ja bereits das Ihre …
 
© 2020 Michael Zeller