Was alles wir der chinesischen Fledermaus verdanken

Aus meinem Corona-Logbuch III

von Michael Zeller

Michael Zeller - Foto © Ryszard Kopczynski
Michael Zeller
 
Was alles wir der chinesischen Fledermaus verdanken
 
Aus meinem Corona-Logbuch, Folge 3
 
 
Anfang Juni 20. Man traut sich wieder was.
 
Die ersten tastenden Schritte ins Lokal, ins Café, sogar ins Museum oder zu einer Lesung. So habe ich mich dieser Tage in das Wagnis gestürzt, mir beim Italiener endlich wieder mal eine Pizza zu gönnen. Die drei aufgereihten Kellner grüßten mich und meinen Freund wie lange Vermißte. Einer von ihnen nahm die Bestellung auf, ein anderer brachte das Besteck, der dritte legte den Papieruntersatz hin. Der Aufdruck „Pizzeria Caruso” kam auf den Kopf zu stehen. Der Kellner schaute, zögerte - dann drehte er das Papier um, Schrift nach oben. Jetzt war der Name korrekt zu lesen.
 
„Donnerwetter”, meinte der Freund. „Das ist der Respekt des Romanen vor seiner Sprache!”
 
Respekt vor seiner Sprache – mein Gott, wie weit entfernt ist man davon hierzulande. Laut einem Kommentar der „Süddeutschen Zeitung” leidet auch „die deutsche Sprache unter Corona”.
 
Ja, wir werden Zeuge, wie in einer epochalen gesellschaftlichen Krise unsere Sprache vollkommen vor die Hunde geht. So gut wie das gesamte Vokabular der aktuellen Pandemie stammt nicht aus dem eigenen Wort-Schatz, sondern ist aus dem Englischen genommen, ohne jede erkennbare Notwendigkeit – entliehen oder geklaut, erfunden oder in vollkommen falscher Bedeutung. Ein door man ist ein Portier in einem Mehrfamilienhaus, kein Türsteher vor einem Baumarkt. Der ist und bleibt ein Türsteher.
 
Muß ich die traurige Liste der Corona-Sprach-Epidemie herbeten, vom shut down, lock down, social distancing, home office, home schooling? Ein von jedem Funken Geist Verlassener hat sogar die stay-at-home-Mum erfunden. Diese Plünderung und Verballhornung des Englischen lädt natürlich dazu ein, auch vor dieser noblen Sprache jeden Respekt fahren zu lassen: Home office, Homeoffice, Home-Office – kunterbunt, wie’s gerade kommt, und samt und sonders falsch. Deutsch Note 6, Englisch 5.
 
Es gibt kein Entrinnen vor diesem Sprech im Land. Das Corona-Pidgin-Englisch ist wahrlich „alternativlos”. Vom letzten Nachrichtensprecher bis hoch zur Bundeskanzlerin wird unserer Gesellschaft in einer politisch dramatischen Situation die eigene Sprache vorenthalten. Ist sie den Herrschaften nicht (mehr) gut genug? Selbst auf die Gefahr hin, daß damit beträchtliche Teile der Gesellschaft bei dem Diskurs draußen bleiben? Ist das vielleicht sogar willkommen?
 
Doch was soll’s? Mit unserem selbstgemachten Vorschul-Englisch kommen wir uns international vor, weltoffen, polyglott, Insassen von Gloubel Villätsch. Beim Händewaschen wird empfohlen, zweimal „Happy birthday to you” aufzusagen. Und dabei gab es einmal Zeiten, da die deutsche Kultur hoch geschätzt war in aller Welt für ihre Lieder und Verse   
 
Die FAZ vermutet, die Verwurstung des englischen Innenministeriums („Home Office”) zu schlichter „Heimarbeit” rühre daher, daß das werte Publikum den sachgemäßen Satz „Ich arbeite von zu Hause aus” einfach nicht mehr schreiben könne: „Zuhause” oder  „zu Hause” oder „zu hause”  …?
Dann lieber die Sache in unverstandenem Englisch aufdonnern und in der fremden Sprache die Sau rauslassen und auch diese Sprache auf Teufel komm raus verhunzen.
 
Die Verballhornung einer anderen Sprache - na, wenn das mal nicht fremdenfeindlich ist …
 
Doch es gibt auch rühmliche Ausnahmen, wenigstens eine (mehr habe ich allerdings leider nicht entdeckt): das Wort „Flickenteppich”. Bei der Debatte um den Föderalismus, der Frage, wie weit es regionale Sonderregulierungen zu Corona geben solle, fabrizierten Medien und Politik keinen Begriff in falschem Englisch, sondern griffen – o Wunder! - auf das deutsche Wort „Flickenteppich” zurück. Ein bildstarker, plastischer Begriff: Flik-ken-tep-pich … In mir jedenfalls werden dabei Bilder und Assoziationen und Erinnerungen lebendig, die bis tief in die Kindheit reichen.
 
Ja, es ist wirklich so: In einer Sprache lebt es sich wie in einem Haus. Da gibt es viele Stockwerke, vom Keller bis zum Dachboden, mit Guten Stuben, Kammern und dunklen Winkeln unter Treppen. Und das Haus der deutschen Sprache ist ja nicht gerade eine armselige Hütte. Viele Generationen haben daran gebaut, viele kluge Köpfe haben es mit Geschmack und Feinsinn möbliert.
 
Wer sein ganzes Leben darin gewohnt hat, gern sogar, der leidet Höllenqualen, wenn er zusehen muß, wie dieses Haus zu einer Abrißbude voller Sperrmüll verkommt. 
 
Shame on you, Dschörmeni.    
 
© 2020 Michael Zeller