MEHR : WERT

Die Sammlungen der Stadtsparkasse Wuppertal und des Von der Heydt-Museums im Dialog

von Gerhard Finckh/Red.

Gerhard Finckh - Foto © Frank Becker
Eine Entdeckungsreise
 
Der Stand der Kunst eines halben Jahrhunderts
 

Redaktionelle Vorbemerkung
 
Die Stadtsparkasse Wuppertal feiert in diesem Jahr ein besonderes Jubiläum: Seit 50 Jahren sammelt sie im Rahmen ihrer Statuten, in welchen eine Kunstförderung festgeschrieben ist, die keiner kommerziellen Triebfeder folgt, in großem Stil zeitgenössische Kunst. Das vor allem mit Blick auf die lokale und regionale Kunstszene. So findet sich in der mittlerweile mehr als 3.000 Werke umfassenden Sammlung neben Weltkunst wie u.a. von Gerhard Richter, Tony Cragg und Christo ein beachtliches Kontingent von Wuppertaler Künstlern - für das Von der Heydt-Museum ein willkommener Anlaß, nach einer Idee von Gerhard Finckh einen Teil dieser interessanten Sammlung in seinen Räumen zu präsentieren und mit Werken aus der eigenen Sammlung in einem Vergleich mit der Suche nach Berührungspunkten zu verbinden.
     Dr. Gerhard Finckh, zum Zeitpunkt der Idee Direktor des Von der Heydt-Museums stellte in Zusammenarbeit mit Gunther Wölfges, dem Vorstandsvorsitzenden der Stadtsparkasse die Auswahl aus beiden Beständen zusammen und kuratierte die Ausstellung, die ab sofort zu den – veränderten – Öffnungszeiten des Museums dort bis zum 2. August präsentiert wird
     Ausgehend von der Überlegung, in welcher Form so unterschiedliche Sammlungen wie die der Stadtsparkasse Wuppertal und die des Von der Heydt-Museums sich am besten miteinander in einen Dialog setzen lassen, ist es kaum möglich, dafür rein kunsthistorische Kriterien anzulegen. Es bot sich vielmehr an, eher einen phänomenologischen Ansatz zu wählen. Nach einer eingehenden Sichtung der so heterogenen Werke haben Gerhard Finckh und Gunther Wölfges sich entschieden, diesen Dialog zwischen den Sammlungen in acht Kapiteln, acht Themenfeldern, acht Räumen mit je 100 Arbeiten zu führen; Kapitel, in welchen allgemein gesellschaftliche Interessenslagen mit eher kunsthistorischen Annäherungen abwechseln.
     So wurde dieses temporäre Zusammenfügen zweier heterogener Sammlungen auch zum spannenden Versuch, aus der (scheinbaren) Logik der eigenen Sammlung auszubrechen, den Blick zu öffnen und zu weiten für andere Aspekte der Kunst und des Lebens. Eine Entdeckungsreise. Der für diese ungewöhnliche Ausstellung gewählte Titel MEHR : WERT spannt den Bogen von der Kunst zum Wert des Lebens, der Lebensverhältnisse, in denen Kunst eine wichtige Komponente ist (Gunther Wölfges).
Selten zu sehende Gemälde, Objekte, Blätter und Fotografien bieten einen Blick auf den Stand und die Entwicklung  der Kunst des vergangenen halben Jahrhunderts.

 
MEHR : WERT
 
Die Sammlungen der Stadtsparkasse Wuppertal und
des Von der Heydt-Museums im Dialog
 
26. Mai – 2. August 2020
 
 
Menschen und Masken
 
Die Stadtsparkasse ist ein Ort der Begegnung von Mensch zu Mensch, ein Ort des Interessenausgleichs und der vielfältigen Interaktion, ein Ort, an welchem unterschiedliche Menschen und Vorstellungen aufeinandertreffen. An diesem Ort der finanziellen Interessen lassen sich die Intentionen der Beteiligten nicht immer auf den ersten Blick an ihren Mienen und Gesten ablesen; die offensichtliche Zurschaustellung gehört hier ebenso zum Spiel wie das Verbergen von Gefühlen, Absichten und Zielen. Offenheit und nüchterne Sachlichkeit prägen genauso wie das Verstecken hinter einer Maske die Wahrnehmung der Persönlichkeiten, die sich an einem solchen Ort einfinden.


Peter Kowald Global Village 1994 - Foto Björn Ueberholz

 Durchaus vergleichbar und doch anders stellt sich die Situation im Museum dar: Menschen, die sich durch Ausstellungen und Sammlungen bewegen, suchen in der Regel eher Abstand von beruflichen oder privaten Alltäglichkeiten, um sich – bestenfalls – mit „interesselosem Wohlgefallen“, wie Immanuel Kant es nannte, dem zu widmen, was das Museum an Anregungen für die eigene Beschäftigung und Versenkung in Kunst bietet. Auch im Museum geben Menschen in ihrem Verhalten, in ihrem Ausdruck, etwas von dem preis, was sie beschäftigt, aber auch hier sind die eigenen Emotionen und die subjektive Sicht auf die Welt oft nicht auf den ersten Blick „offensichtlich“, sondern werden erst als Teil eines Diskurses mit Begleitern und Partnern erahnbar. Die in diesem Raum versammelten Werke spiegeln diese Situationen der Vereinzelung aber auch des Gruppenerlebnisses.
 
Rot sehen
 
Rot ist die Farbe des Feuers, des Blutes, der Liebe. Es steht für Hitze, Freude und Ekstase, für das Positive, das Herzliche, den Menschen Zugewandte, aber auch für drohende Gefahr.
Über die Jahrtausende wurde es als solche vielfältig kodierte Farbe in der Bildenden Kunst eingesetzt, – im 20. und 21. Jahrhundert widmeten sich Künstler der Analyse dessen, was der Einsatz von „Rot“ bewirkt. Die Untersuchung der Farbe jenseits ihrer Materialität als Pigment oder Paste beschäftigte zahlreiche Künstler und zeigt, wie variantenreich „Rot“ sein kann, aber auch, wie komplex der Umgang oder das Spiel mit einer Farbe wie dem Rot für die Wahrnehmung ist.
(Rot ist, wieder Zufall es will, auch die Farbe der Sparkassen, Anm. d. Red.)


Rob de Vry Draperien - Foto © Frank Becker

Unschärferelationen
 
1966 schuf Gerhard Richter ein Bild mit dem Titel „Scheich mit Frau“, das als eines der Meisterwerke der modernen Abteilung des Von der Heydt-Museums gilt. Die Figuren dieses Bildes sind so verschwommen dargestellt, daß sich erst beim genauen Hinsehen, bei der Scharfstellung des Blicks, ungefähr erkennen läßt, welche Szenerie hier abgebildet ist. In den 60er Jahren beschäftigte Gerhard Richter dieses Thema der „Verwischung“ ausführlich. Bewusst zog er dabei die Präzision der kleinen Schwarz-Weiß-Fotos, die den realistischen Ausgangspunkt für die Vergrößerung boten, im Gemälde ins Unscharfe, um eine Wiedererkennbarkeit auf den ersten Blick zu erschweren. Diese Vorgehensweise wendet sich gegen das schnelle Vorübereilen an Bildern, deren Erkennen dadurch erschwert, aber umso reizvoller und erst beim genauen Hinsehen belohnt wird.


Gerhard Richter, Frau mit Scheich 1966 © Gerhard Richter - Foto © Frank Becker


Andreas Komotzki, Slow Day (Fotografie) - Foto © Frank Becker

Ähnlich verhält es sich mit den Bildern von Tony Cragg, Georges Seurat, Nicole Aders, Tamara K.E. oder Andreas Komotzki und anderen, deren auf den ersten Blick unpräzise erscheinende Darstellungen die intensive Auseinandersetzung mit dem Sujet herausfordern. Das genaue Hinschauen und die konsequente Auseinandersetzung mit dem Gesehenen eröffnen den Betrachtern, den Inhalt der Werke, aber auch den Aspekt der Künstlichkeit ihrer Darstellungen.
 
Architektur
 
Als Karl Heinrich Müller in den 1980er Jahren die Museumsinsel Hombroich entstehen ließ, bat er den Bildhauer Erwin Heerich, dafür die Gebäude zu entwerfen. Begehbare Skulpturen entstanden so, die die Kunstwerke der Sammlung aufnahmen. Die Serie der Grafiken, in welchen Heerich seine Entwürfe für die Gebäude vorstellte, bilden den einen Schwerpunkt in diesem Raum, der dem Thema Architektur gewidmet ist; das großformatige Gemälde „Calafate“ von Corinne Wasmuht, in welchem sie die Eindrücke, die ein gebauter Raum, in diesem Fall eine Flughafenlobby, bei den transitorischen Besuchern hinterläßt, den anderen.
 

Holger Bär, Bahnhof Zoo Berlin um 2005  - Foto © Frank Becker

Die Werke von Heerich, Wasmuht und anderen verdeutlichen die Rolle, die der umbaute Raum für das Leben des Menschen, für Geschäftsbeziehungen, für die Freizeit und als privater Rückzugsort spielt. Klar und funktional, licht und offen, präsentieren diese Werke Räume, die gerade im Bau befindlich sind oder die schon wieder eingerissen werden, Räume zum Wohlfühlen oder einen kalten Unraum wie den des „Bahnhof Zoo“ in Berlin. Geradezu mit Händen greifbar wird in solchen Bildern die prinzipielle Unbehaustheit des Menschen, der sich von Raum zu Raum über den Globus bewegt, sein ständiges Kommen und Gehen, gelegentliches Verweilen.
 
Die Vier Elemente
 
Noch in der Barockzeit spielten die Vier Elemente Feuer, Erde, Wasser und Luft eine bedeutende Rolle bei der Ausmalung großer Festsäle, denn sie waren Teil der Inszenierung des Sieges des Göttlichen über die Kräfte der Natur. In jüngerer Zeit sprechen wir weniger von den „Elementen“ als von „Naturgewalten“, und dieser Umdeutung ist mittlerweile auch die Furcht vor der Nichtbeherrschbarkeit dieser Gewalten einbeschrieben. Umweltkatastrophen und Weltuntergangsszenarien prägen heute unsere mediale Wahrnehmung der Natur und ihrer Kräfte; stärker als ihre Wohltaten sind die damit verbundenen Gefahren ins Zentrum der Betrachtung gerückt. Die Elemente beeinflussen und bestimmen unser Leben in einer Weise, daß sie sowohl außergewöhnlich nutzbringend eingesetzt werden können, als auch wie etwa bei Erdbeben, Feuersbrünsten, Flutwellen, Wirbelstürmen oder atomaren Katastrophen extremen Schaden anrichten.


Peter Klassen, Transatlantik 1993 (Fotografie) - Foto © Frank Becker

Frei schwingende Formen
 
Die Traumdeutung Sigmund Freuds, Kandinskys allmählicher Weg in die Abstraktion, Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ und die Gedichte der Dadaisten befreiten die Bildende Kunst von der bis zum Ende des 19. Jahrhunderts gültigen Prämisse, daß sie das Sichtbare und in diesem Gegenständlichen das eigentlich als nicht darstellbar gedachte Geistige, Seelische, Mythische abzubilden habe. Mit der „Abstraktion“ ergaben sich für die Kunst Möglichkeiten, in völlig neue Gebiete vorzustoßen, in Regionen, in welchen sich das Verhältnis zwischen den Künstler und den Betrachterinnen seiner Werke in einer ganz anderen, subjektiv grundierten Sphäre abspielt. Mit den frei schwingenden Formen der Abstraktion, die nur noch den kompositorischen und inhaltlichen Intentionen der Künstlerinnen folgen, eröffnet sich ein ganz neues, riesiges Feld, in welchem das Unbekannte, Neue, das geistige Abenteuer in eine nachvollziehbare und verständliche Form gebracht werden kann. Dabei sind auch Zwischenformen möglich: Das Abstrakte kann sich so mit dem als Darstellung von Gegenständlichem Erkennbaren verbinden, daß die Betrachter jenseits des Gesehenen, vom Künstler, bzw. der Künstlerin Vorgegebenen, zu ganz eigenen Assoziationen aufbrechen können.
 

John Chamberlain o.T. 1960er © VG Bild/Kunst - Foto © Frank Becker

Maß, Zahl, Geometrie
 
Schon in den bedeutenden Bauwerken der Antike, sei es in Ägypten, Griechenland oder dem Römischen Reich, spielten Maß, Zahl, Geometrie und Symmetrie eine wesentliche Rolle. Das setzte sich über Romanik, Gotik, Renaissance bis in die Gegenwart fort, so daß auch in den bedeutenden Bauten unserer Zeit, seien es Kirchen, Moscheen, Synagogen, Museumsbauten oder Regierungspaläste, oft jenseits ihrer reinen Nützlichkeit ein Spiel mit Zahlen, Maß und Ordnung erkennbar wird. Angefangen mit Vitruvs römischer Architekturlehre, die ideale Proportionen für Bauwerke vorhielt, über Leonardo da Vincis Idealfigur eines Menschen bis hin zu den Ideen des Bauhauses und der idealtypischen Menschenfigur „Modulor“ von Le Corbusier spielten Maß und Proportion aber nicht nur in der Architektur eine zentrale Rolle. Maß und Proportion prägen unser Schönheitsideal und sind auch aus der Bildenden Kunst – oft in Verbindung mit ausgeklügelten Farbrelationen – nicht wegzudenken.
 

Maß, Zahl, Geometrie - Foto © Frank Becker

Nähe und Ferne
 
Die Globalisierung hat die Welt – zumindest nach unserem Empfinden – kleiner werden, die „Völker“ enger zusammenrücken lassen. Fernreisen sind zu Affären weniger Stunden oder Tage geworden, Urlaubsreisen für viele erschwinglich; gleichzeitig proklamiert ein Minister, die Freiheit Deutschlands werde am Hindukusch verteidigt. Unser Verständnis für Nähe und Ferne hat sich in den vergangenen Jahrhunderten rapide verändert. Eisenbahn, Dampfschiff, Flugzeug und Rakete einerseits lassen uns das Ferne, selbst den Mond, leichter erreichbar erscheinen, atomare Unfälle, Pandemien und andere Umwelt- und Naturkatastrophen rücken Europa bedrohlich näher.
 

Anke Eilergerhard Taifun 2011  - Foto © Frank Becker

Auch in der Bildenden Kunst ist daher das Thema „Nähe und Ferne“, das sich zu Goethes Zeiten noch in der Sehnsucht der Künstler nach Italien spiegelte, jetzt unter anderen Vorzeichen zu sehen: Künstler und Künstlerinnen gehen eher in ironisierender Weise damit um und eröffnen zugleich Denkräume dafür, was jenseits des Hier und Jetzt in der Zukunft und an – noch – utopischen Orten möglich sein wird.
 
Dr. Gerhard Finckh
 
Die ausgestellten Künstler sind:
Nicole Aders - Josef Albers - Holger Bär - Stephan Balkenhol - Heike Kati Barath - Joseph Beuys - Max Bill - Ola Billgren - Anna und Bernhard Blume - Eberhard Bosslet - John Chamberlain - Christo - Tony Cragg - Walter Dahn - Walther Dexel - Felix Droese - Jean Dubuffet - Bogomir Ecker - Anke Eilergerhard - Ulrich Erben - Elger Esser - Robert Filiou - Lucio Fontana - Pia Fries - Rupprecht Geiger - Ludger Gerdes - Karl Otto Goetz - Kuno Gonschior - Laura Grisi - Jürgen Grölle - Boris von Grumbkow - Erwin Heerich - Carl Hofer - Edgar Hofschen - Hans Georg Inhestern - Georg Janthur - Tamara K.E. - Peter Klassen - Andreas Komotzki - Peter Kowald - Sol Le Witt - Lucebert - Adolf Luther - Michel Majerus - Joseph Marioni - Laszlo Moholy-Nagy - Robert Motherwell - Mathias Neumann - Frank Nitsche - Albert Oehlen - Markus Oehlen - Dennis Oppenheim - Driss Ouadahi - Nam June Paik - Jürgen Palmtag - Jürgen Partenheimer - Sarah Pelikan - A.R. Penck - Karl Georg Pfahler - Otto Piene - Bettina Pousttchi - Tal R. - Neo Rauch - Gerhard Richter - Klaus Rinke - James Rogers - Julio Rondo - Oskar Schlemmer - Bernhard Schultze - Georges Seurat - Björn Ueberholz - Tatjana Valsang - Henk Visch - Rob de Vry - Franz Erhard Walther - Corinne Wasmuht - Dietmar Wehr - Clemens Weiss - Günter Weseler - Ben Willikens - Masaki Yukawa - Jerry Zeniuk - Heinrich von Zügel
 
Redaktion: Frank Becker
 
Zur Ausstellung ist zum Preis von 20,- € ein umfangreich bebilderter Katalog mit Beiträgen von Gerhard Finckh, Antje Birthälmer und Gunther Wölfges erschienen.
 
MEHR : WERT
Bis 2. August 2020 im Von der Heydt-Museum
Turmhof 8 – 42103 Wuppertal
Weitere Informationen:  www.von-der-heydt-museum.de