Das Vermummungs-Gebot

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von Renate Wagner

Renate Wagner
Das Vermummungs-Gebot
 
Die Wutbürger artikulieren sich immer lauter – im Fall von Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger hört es sich schon wie hysterisches Gekreische an. Andere, wie Günther Groissböck, schreiten (mit Hilfe von Anton Cupak) zur Tat und schauen, was an „Öffentlichkeit“ für die Kunst möglich ist. Wenn die Kulturstaatssekretärin schon nicht imstande ist, Lösungen zu zaubern, wo es vorläufig noch keine geben kann. Aber dafür ist es doch lustig, mit Rücktrittsforderungen an die überforderte Dame zur Hatz zu blasen. Offenbar ist der Fall Rendi-Wagner viel zu schnell medial „gestorben“… jetzt ist die Lunacek dran! Halali!
 
„Corona“ ist nun schon seit Wochen für Erregungen aller Art – echte und künstliche – gut. Das hat, wie schon festgestellt, für die Öffentlichkeit durchaus Unterhaltungswert. Irgendwas, das man aufbauschen kann, passiert immer. Wenn sich gar der Kanzler entblödet, im Freien (!!! wie kann er nur!) ohne Maske zu erscheinen, gibt es jede Gelegenheit für einen Shitstorm („Lebensgefährder“, sagen Leute, die die ganzen Maßnahmen vermutlich für Humbug halten, „Heuchelei und Doppelmoral“ tönen jene, die sonst in Beachtungslosigkeit versinken würden), und keine der Parteien ringsum hat versäumt, mit ihren Beschimpfungen, Klage-Drohungen und Entschuldigungs-Forderungen brüllend in die Öffentlichkeit zu gehen (wenn man nichts anderes hat, ist jeder Vorwand recht).
 
Wobei die Idee der Gemeinde Mittelberg im Vorarlberger Kleinwalsertal, man möge anläßlich des Kanzlerbesuches beflaggen (als käme der Kaiser persönlich?), zwar grenzenlos naiv ist – aber eigentlich kein Verbrechen. Es sei denn für diejenigen, die Kurz nach wie vor für Klein-Hitler halten… Es ist alles Chimäre, aber mich unterhalt’s! heißt es bei Johann Nestroy.
 
Als ich, nach zwei Monaten gänzlich freiwilligen Rückzugs (privilegiert durch einen Sohn, der alles für uns erledigte), endlich meine Nase wieder in die Welt gesteckt habe, fand ich bei Billa überraschende Ruhe vor. Als ob die Entschleunigung tatsächlich gegriffen hätte. Bei OBI waren mehr Leute (haben alle, wie mein Mann, das unwiderstehliche Bedürfnis, im Garten tätig zu werden?), aber auch da ging es – alle mit Maske vorm G’sicht – friedlich zu.
 
Und was lese ich, erleichtert, in dem einen oder anderen Interview? Daß man die „ruhige“ Zeit sogar genossen hat. (Natürlich wiederum nur, wenn keine unmittelbaren Geld- und Jobsorgen drückten, aber irgendeinen Vorteil muß das Alter ja auch haben.)
 
Wenn man gewöhnt war wie ich, mindestens jeden zweiten Tag ins Theater oder in die Oper zu gehen, natürlich auch ins Kino, gerne in Ausstellungen (und das durchaus freiwillig und meist gern), dann war es anfangs ein echter Schock, diesbezüglich vor dem Nichts zu stehen. Aber nach und nach (es gab jede Menge Streams, es gibt Bücher, Bücher, Bücher) fing ich an, mich in einer Welt ohne Druck und Pflichten geradezu wohl zu fühlen (nicht mehr um 11 Uhr nachts vor den Computer stürzen, damit die Kritik des Abends um 1 Uhr früh im Online Merker steht – auch wenn es nur ein paar Leute wahrnehmen und es vielleicht bloß persönlicher Ehrgeiz ist).
 
Unglaublich, wie entspannt und gelassen das Leben sein kann. Nicht, daß ich es mir für alle Zukunft wünschte. Aber nach dem Motto „Make the best of it“ war an dem Unvermeidbaren auch Gutes zu finden. „Ich habe mich erholt wie seit Jahren nicht mehr“, sagte Michael Köhlmeier in einem News-Interview. Und einen Roman hat er auch beendet, was will man mehr…
 
Jetzt kann es wieder losgehen, dachte ich bis vorgestern. Bis ich mir, zwecks Einkaufen, endlich die Maske übers Gesicht zog – wer hätte gedacht, daß wir je vom Vermummungsverbot zum Vermummungsgebot kommen würden? Die Muslimas können da nur lächeln, nehme ich an. Und die Erfahrung war – scheußlich. Obwohl die Maske (das normale Ding, also ohnedies die Light-Version) einen nicht beengen sollte, ich fand es grauenvoll, da in meinem eigenen heißen Atem zu schwimmen. Ich weiß, daß ich mir das Ding nur über Mund und Nase ziehen werde, wenn ich es unbedingt muß, sprich: einkaufen gehen. Ob ich mich stundenlang damit in ein Theater setzen würde, egal, wie theaterhungrig ich schon bin? Ich kann es mir nicht vorstellen.
 
Ich weiß, man soll nicht so wehleidig sein, und für Jammern habe ich nichts übrig. Aber mich mit einer Maske vorm Gesicht quälen… nur, weil ich die Sinnhaftigkeit dessen einsehe, daß man einander besser nicht ansteckt. Damit der Alptraum bald einmal zu Ende gehe.
 
Renate Wagner