Geländefahrradfahrer

von Erwin Grosche mit Peter Butschkow

© Peter Butschkow
Geländefahrradfahrer
 
Wie ich einer Meldung entnehmen konnte, kommen nach dem Hamstern von Klopapier, Mehl und Hefe, wieder Geländefahrräder in Mode. Alle, die bisher beim Tischtennis aus sich herausgingen, powern sich nun beim Geländefahrradfahren aus. Geländefahrradhersteller klagen schon über Lieferschwierigkeiten, zumal Geländefahrräder oft persönlich bis vor die Haustür gefahren werden. Kann man nur noch das Leben spüren, indem man es aufs Spiel setzt? Ich sah jetzt vernünftige Bestattungsunternehmer, die wie aufgezogen auf einem Geländefahrrad durch die Natur preschen. Selbst übergewichtige Schmetterlingssammler zeigen darauf Bauch und federn damit manchen Aufprall ab. Es gibt gesellige Geländefahrradfahrten, wo acht Geländefahrradfahrer eine ganze Gegend unsicher machen und alles umfahren, was sich ihnen in den Weg stellt. Ein Geländefahrradfahrer, der auf dem Geländefahrrad laute Heavy Metal Musik hört, ist natürlich eine stolze Erscheinung, für die man gerne in den Graben springt. Überall muß man mit Geländefahrradfahrern rechnen.
     Sie sind selbst dort, wo es kaum Gelände gibt. Hautenge Kostüme und ausgefallene Sonnenbrillen machen die Geländefahrradfahrer zu erotischen Götterboten. Beim Geländefahrradfahren muß Schweiß fließen. Schmerzen und Tränen sind treue Begleiter. Der Geländefahrradfahrer will seine Todessehnsucht ausleben, das kann er nicht beim Federballspielen. Ich muß auch ganz ehrlich sagen, wenn mich ein Geländefahrradfahrer freundlich fragt, ob man ihm zuliebe den Weg frei machen könnte, dann ist mir das auch zu weich gespült. Davon hat keiner was. Wer mit dem Geländefahrrad unterwegs ist, macht keine Kuscheltour. Geländefahrradfahrer können auch sehr nett sein, wenn sie keine Geländefahrräder fahren. Manche arbeiten sogar für die katholische Kirche und haben nicht geheiratet, obwohl sie keine Priester sind. Ich kenne einen Geländefahrradfahrer, der hat sich auf den Helm einen Rilke-Satz eingravieren lassen: „Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen.“ Meint er damit Kinder auf Bobby-Cars? Meint er damit unberührte Natur, in die man eine Parkbank mit Mülleimer stellt? Warum können Geländefahrradfahrer nicht in Dörenhagen Geländefahrrad fahren? Dort ist der Ton rauher und es herrscht noch das Gesetz der Straße. „Geländefahrradfahren ist keine Sünde“, beichtete mir jetzt eine Theologiestudentin, „aber es gehört auch nicht zu den guten Taten.“ Ich sage immer, im Grunde haben wir noch Glück gehabt, denn wenn irgendwann auch noch Trompeten gehamstert werden, dann gnade uns Gott.
 
 
 
© Erwin Grosche 2020