Japanischer Film

von Hanns Dieter Hüsch

       © Jürgen Pankarz
Japanischer Film
 
Also, ich habe eine wahnsinnige Vorliebe für japanische Filme, obwohl ich kaum einen sehe, so gut wie gar keinen. Aber meine Freunde sehen die immer für mich mit, und wenn die dann aus dem Kino kommen und haben einen japanischen Film gesehen oder im Fernsehen einen japanischen Film, kommen sie immer gleich zu mir und haben dann immer gleich drei Sätze auf Lager. Der erste Satz lautet: „Hervorragend gemacht, hervorragend gemacht.“ Der zweite ist dann gleich an mich gerichtet: „Wenn du den noch irgendwo erwischen kannst.“ Und der dritte Satz hängt am zweiten dran und heißt: „Ich Hehe dich an, ich Hehe dich an.“ Manchmal haben sie auch noch einen vierten Satz nicht immer, aber manchmal „Grade du müßtest ihn sehen, grade du, also wenn schon dann du.“ Dann brech ich zusammen, dann brech ich jedesmal zusammen.

Vor einem Jahr hab ich einen gesehen, nein, das war gar kein japanischer das war ein koreanischer, aber die asiatischen Filme sind ja alle sehr ähnlich, sind ja alle sehr episch, und den haben Sie auch bestimmt gesehen. Da lief immer einer, den haben Sie bestimmt gesehen, da lief immer einer barfuß mit einer Pechfackel an der Küste entlang, sehr episch also eben an der Küste entlang. Hatte eine Kiepe auf da saß eine Frau drin und die beiden liefen also episch an der Küste entlang. Mit Erzähler natürlich. Und dann haben sie etwa nach `ner halben Stunde festgestellt, daß sie im Dorf den Kochtopf vergessen hatten, da mußten sie also wieder zurück. Dann haben sie sich auf der Stelle rumgedreht und haben gesagt, wozu soviel Zeit verlieren, und sind also wieder zurückgelaufen, ganz episch. Da kamen sie nachts um drei in dem Dorf an, da war aber aus sozialen Gründen inzwischen ein Aufstand ausgebrochen, da liefen so 400 barfuß mit Pechfackeln rum. Sie haben aber trotz der Pechfackeln bei dem Durcheinander den Kochtopf nicht gefunden. Da mußten sie am anderen Morgen, mit so `nem großen zweirädrigen, schweren, knorrigen Karren, mußten sie dann weiterfahren. Also, hervorragend gemacht. Wenn Sie den noch irgendwo erwischen... Ich flehe Sie an, grade Sie, grade Sie. Ich hab ja so `ne Vorliebe für diese japanischen Filme. Diese japanischen Königsprinzen-, Mönchs- und Bergfürstendramen. Das sind diese wahnwitzigen Filme, in denen ständig gesäbelt wird. Neulich vor sechs Wochen hab ich´s Fernsehen angemacht, säbelte man wieder. Ausgemacht - nach zwei Minuten wieder angestellt - säbelten sie wieder. Habe ich sage und schreibe zwanzig Minuten gewartet, angemacht, immer noch Säbeln. Ich habe immer den Eindruck, die stehen, bevor der Film beginnt, schon hinter der Leinwand und säbeln sich ein. Vor zwei jahren gab´s im Deutschen Fernsehen mal einen japanischen Monat. Sie wissen ja, wenn holländische Woche ist, stellen alle Holzschuhe ins Schaufenster. Wenn japanischer Monat ist, dann machen alle Wirte in ihrem Restaurant eine japanische Ecke, und dann kriegen Sie die Stäbchen ins Kreuz geschmissen, und dann geht’s los. Ohne Fleiß keinen Reis, Nippon, Nippon! Die Japaner essen ja nicht, die nippen ja nur, deswegen sind die auch alle so klein geblieben. Und wenn Sie aus dem Lokal herauskommen, dann sind Sie schon ein richtiger Japaner - so nach dem Motto: Sie kamen als Gast und gingen als Samurai. Und in diesem japanischen Monat wurden in jeder Woche zwei Filme dieser speziellen Art gezeigt, auch alles sehr episch und alles mit Erzähler natürlich, das kennen wir ja hier in Mitteleuropa gar nicht, mit Erzähler. Kaum kommt Kashamokokiri - Sie haben den Film gesehen, nein? Kaum kommt Kashamokokiri, der Sohn des Fürsten Washawishilobisamu und seiner Frau Kurimangamungo, kaum kommt der junge Kashamokokiri in das Dorf Menningliutsetse, schon wird gesäbelt und von Baum zu Baum gehüpft. Denn Kashamokokiri soll im Auftrag des kaiserlichen Generals Kikatandamajo im Tempel von Schonikaju die alte Standarte aus den Zeiten der blauen Himbeere und der musikalischen Aprikose, jene berühmte Standarte des Samurai aufstellen, zu Ehren des Kaisers Kanzekonze, der heißt so, der heißt so. Es klingt zwar rheinisch, ist aber original japanisch. Kanzekonze! Ist indojapanisch, indojapanisch. Hat mit dem Finnisch-Ugrischen nichts zu tun, ist indojapanisch. Kannze ist rheinisch haben wir ja als Kinder gesagt, „Kannze Purzelbaum, mach mal, ne.“ Und Konze ist japanisch - heißt soviel wie Fahrradfahren, also der Kaiser heißt genau Kaiser Kannze Fahrradfahren der Erste. ja, das ist ja, das ist für uns ungewohnt, aber es ist halt, es ist halt diese blumige Sprache, das ist ja alles Poesie bei denen, nicht wahr. jeder Japaner ist eine Tuschzeichnung für sich und ganz zart und ganz fein. Da steckt ja eine Weisheit drin, das kriegen wir ja hier gar nicht mit, auch diese wunderschönen Sprüche, die die dauernd haben - wie heißt das „Wenn das Huhn frühmorgens gackert, hat das Pferd am Abend gut lachen.“ All diese ganzen weisen, diese uralten, die sind ja uralt, die sind ja zwei-, drei-, viertausend Jahre alt, nicht aus diesen verschiedenen Dynastien von Ping nach Pong und wie sie alle heißen. Das weiß man ja gar nicht, wenn man sich nicht damit beschäftigt. Kaiser Kanzekonze hat eine Gemahlin Namens Kikilitikitt. Die heißen ja alle auf „i“ da, die Japaner sind uns ja technisch sehr überlegen, die brauchen auch morgens keinen Wecker mehr, die rufen den Namen ihrer Frau, dann sind die wach. Kikilitikitt. Und dann, ja, das sind wir nicht gewohnt, das sind wir nicht gewohnt, das ist `ne andere Welt, natürlich. Und dann ruft sie aus der Küche zurück: „Sohni, Sohni“, denn der Kleine muß ja um acht in die Schule. Wir brauchen da eigentlich gar nicht hinzufahren, denn es ist genau wie bei uns, nur alles `n bißchen gelber.
 
Als aber nun Kashamokokiri, der Sohn des Fürsten Washiwishilobosamu und seiner Frau Kurimangamungo den Fluß Kaschamukokiri überquert, das ist der zweitgrößte Fluß Asiens, der immer wieder wahrscheinlich aus militärischen Gründen, verschwiegen wird, ist ein Grenzfluß, `n typischer Grenzfluß - nicht wahr, die haben da ja sowieso nur Grenzflüsse, glaub ich. jedenfalls, als Kashamokokitzi an dem berühmten Morgen des zinnoberroten September in seinem zimtfarbenen Seidengewand mit der berühmten Samtmütze Timurs des Lahmen, daraus ja später Tamerlam wurde, das ist historisch belegt, daraus ist Tamerlam geworden. Und der Timur war ja auch lahm, das ist - die meisten glauben immer, das wär jetzt ein jux von mir, nein, der war wirklich lahm. Der war blond und blauäugig, aber lahm der liebe Gott ist ja gerecht. Man kann ja nicht alles auf einmal haben, das geht ja nun nicht. Aber der hieß wirklich wörtlich Timurilenk, das heißt Timur der Lahme - daraus ist ja später Tamerlam geworden. Das ist ja die berühmte asiatische Konsonantenverschiebung. ja, wir hatten die Völkerwanderung - die hatten die Konsonantenverschiebung. So hat jeder sein Päckchen zu tragen, in der Geschichte. Und bei dem Timur, da fällt mir grade ein, das haben Sie doch auch in der Schule mitgekriegt, da haben sich doch die drei Kulturkreise überschnitten, wissen Sie das nicht mehr, wo die drei Kulturkreise sich ständig überschneiden? Das wissen Sie noch, das - wenn ich Ihnen das gleich sage, fällt’s Ihnen wie Schuppen aus den Haaren. Das ist, nein das ist, das sind drei verschiedene Kulturkreise. Ich will´s mal rasch erzählen. Da sind diese drei Kulturkreise quasi manifestiert durch drei besonders bekante Persönlichkeiten, und diese drei Persönlichkeiten haben irgendwie leicht verwandte Merkmale. Das sind in diesem Fall der Achill, der Siegfried und der Timur. Es ist einfach so, der Achill hat´s an der Ferse, Siegfried im Rücken und Timur war lahm. Jetzt fällt’s Ihnen ein, ne, jetzt fällt´s Ihnen ein. Ja, ja, wo ich´s erzähle, was ich ja immer sage - man braucht´s ja nur anzutippen, dann ist ja alles gleich wieder da. 34 Strophen Erlkönig und so, man braucht´s ja nur anzutippen, sage ich ja.
 
Als aber nun Kashamokokiri tatsächlich eines Morgens das Dorf Menningliutsetse erreicht, ruft ihm sogleich vom Dach seines Hauses, die Asiaten rufen ja viel von den Dächern ihrer Häuser, ich weiß nicht, ob Sie´s schon mal im Film gesehen haben, die stehen immer so schräg auf den Schindeln, die sind ja schindelfrei. Und vom Dach ruft ihm sein Todfeind, der Sohn des Prinzen Ongelongel, der gleichaltrige Lakimaschaschiri, ruft ihm vom Dach seines Hauses folgendes zu: „Brrrochchchch.“ Und schon wird sofort gesäbelt, das geht also gleich los. Stundenlang - auch sonntags.
 
Inzwischen hat sich Juschischio, das ist `ne ganz schlanke, sieht man kaum, die Prinzessin von Samakojo, aus der Stadt der tausend Kniefälle aufgemacht, um ihren Geliebten Kashamokokiri zu suchen und ihm zu helfen, die Standarte der himmelblauen Himbeere und der musikalischen Aprikose im Tempel von Schonikaju endlich aufzustellen. Juschischio, nicht zu verwechseln mit ihrer Schwester Juschischui, die ist also so schlank, die sieht man gar nicht, wenigstens im Film nicht. Juschischio ist die Tochter des berühmten Fürsten Harakamikazekiri und seiner Gemahlin Kokitaiaus aus dem 18. Jahrhundert. Er begründete ja bekanntlich damals die Stadt der 32.000 Butterblumen, in die man ja als Fremder nur hineingelangt, wenn man nach 32.000 Verbeugungen noch das Wort „Butterfly“ aussprechen kann. Und daher stammt ja wohl auch das wörtliche Geflügel, also vielmehr das Dingsda, nicht wahr, „Wanderer kommst du nach Samakojo und hast das Wort Butterfly vergessen, nützen dir auch deine 32.000 Verbeugungen nichts mehr.“ Dir wird unweigerlich eine Klinge in die Hand gedrückt, und du hast um dein Leben zu säbeln und von Baum zu Baum zu springen und dabei fürchterliche Schreie auszustoßen. Und bei dem Schreien müssen Sie mit dem Timing schwer aufpassen. Wenn Sie da drei Sekunden zu lang schreien, heißt das was völlig anderes, das ist eine ganz feine, uralte, hochdifferenzierte, hochkultivierte, asiatische Akklamationskunst, seit

© Jürgen Pankarz
Jahrtausenden schon. Da müssen Sie ganz, auch wenn Sie mal, Sie wissen das ja auch, mit den Schriftzeichen, wie sensibel das alles zusammenhängt. Wenn Sie da mal `n Brief hin schreiben und machen `n Komma zuviel, der Brief ist hinfällig. Der kommt meistens zurück. Nicht immer, aber meistens kommt der zurück, und hinten steht drauf „Empfänger enttäuscht“ oder sowas. Ja bei uns steht ja meistens „Empfänger verzogen“, also im Sinne von „Empfänger verwöhnt“, aber bei denen steht dann „Empfänger enttäuscht oder verbittert“, manchmal sogar „Empfänger sehr verbittert“. Das nur mal als Tip, wenn Sie mal `n Briefwechsel mit Japanern oder Japanerinnen haben. 
 
Nachdem nun die berühmte Standarte zu Ehren des Kaisers Kanzekonze und seiner Gemahlin Kikilitikitt endlich aufgestellt war, fiel alle Macht von da an den Sapurajus zu, das sind bei uns etwa die Hohenzollern, etwa, oder sagen wir vielleicht cirka, cirka ist genauer. Und Juschischio und Kaschomokukiri heirateten, bekamen schon bald einen Sohn, den später so weltberühmt gewordenen Mundigrafotungi, das heißt der Weltergreifer, von dem ganz bestimmt ein andermal ein ähnlicher Film gemacht wird. Und wenn sie nicht gestorben wären, dann sängen, sprangen und säbelten sie heute noch.
 
 
© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Meine Geschichten" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnungen stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.
Redaktion: Frank Becker