Zween – Zwo – Zwei

Eigenheiten der verschiedenen Bezeichnungen einer Zahl

von Heinz Rölleke

Prof. Dr. Heinz Rölleke - Foto © Frank Becker
Zween – Zwo – Zwei
 
Eigenheiten der verschiedenen Bezeichnungen einer Zahl
 
Von Heinz Rölleke
 
Kürzlich erlaubte sich ein WDR-Moderator einen kleinen Scherz, als er aus dem Text der Bach'schen Matthäus-Passion zitierte: Das originale, dem Sänger des Christus in den Mund gelegte Wort „Ihr wisset, daß in zween Tagen Ostern wird“ wurde in der Ansage am 5. Fastensonntag („Judica“) im Blick auf das Osterfest in 14 Tagen dem aktuellen Kalender angepaßt: „Ihr wisset, daß in zween Wochen Ostern ist.“ Damit war der Satz zwar inhaltlich stimmig geworden, aber in eins damit auch fehlerhaft.
 
Der Satz geht auf den neutestamentlichen Bibeltext (Matthäus 26.2) zurück: „Scitis quia post biduum pascha fiet.“ Luthers Übersetzung von 1522 trifft hier nicht ganz das Richtige: „Ir wisset, das nach zween Tagen Ostern wird“. Die Worte sind am Donnerstag vor Ostern gesprochen (Luther wollte die jüdische Bezeichnung des Festes „Pascha“ vermeiden) – dieser Donnerstag liegt zwar zwei Tage vor Pascha (Sonnabend alias Karsamstag), aber nicht zwei, sondern drei Tage vor dem Sonntag, an dem das christliche Osterfest gefeiert wird.
 
Wie dem auch sei, das Numerale ist jedenfalls in Luthers Bibel und in der 1729 entstandenen Matthäus-Passion richtig gebraucht, denn seinerzeit wurde das Zahlwort noch wie im Mittelhochdeutschen als Adjektiv aufgefaßt, das sich im Genus nach dem zugehörigen Substantiv richtete. Luther scheidet in allen Schriften klar und unverwechselbar: „zwo hend“, „zween füß“, „tzwey augen“. Im Mittelhochdeutschen lauteten die grammatischen Formen „zwên(e)“ Maskulinum, „zwô“ Femininum, „zwei“ Neutrum. Der WDR-Moderator hat also insofern daneben gegriffen, als er dem Femininum „die Woche“ die alte maskuline Form „zween“ voranstellte.
 
Der im Mittelalter und in der frühen Neuzeit noch selbstverständliche und ausnahmslose genusgebundene Gebrauch des Numerale hielt sich im Schrifttum vereinzelt bis ins frühe 18. Jahrhundert. Danach trat im Sprachgebrauch endgültig eine Vereinheitlichung ein, indem man seitdem und bis heute das Zahlwort im Hochdeutschen nur noch in der neutralen Form „Zwei“ gebraucht. Erst das Interesse für die ältere deutsche Sprache und Literatur in der Zeit Klopstocks und Herders belebte die veralteten Formen künstlich neu. Dabei verfuhr man so fast immer grammatisch 'richtig', denn es wurden in Kenntnis der alten Sprachgewohnheiten „zween“ oder „zwo“ treffend maskulinen oder femininen Substantiven zugeordnet. Davon konnte dann im 19. Jahrhundert durchaus nicht immer die Rede sein.
 
Bei den Trivialschriftstellern geht das ganz willkürlich zu, wenn sie altdeutsche Sprache imitieren wollen. Hier dominiert eindeutig die alte maskuline Form „Zween“, weil sie so schön altertümlich klingt, während neben „Zwei“ auch in Sonderfällen noch „Zwo“ im Gebrauch war, aber in einem auf 'alt' getrimmten Text angeblich zu modern klang. So gab Wilhelm Meinhold in seinem überaus erfolgreichen und bis heute aufgelegten Roman „Maria Schweidler. Die Bernsteinhexe“ (1843) vor, er gebe im Wesentlichen ein von ihm entdecktes Manuskript aus der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs wieder. Sein Versuch, die Sprache des 17. Jahrhunderts zu imitieren, ist allerdings weitgehend kläglich gescheitert.
So ist mehrfach von „zween Stunden“ oder „zween Fackeln“ die Rede ('richtig' wären die alten femininen Bezeichnungen 'zwo Stunden' oder 'zwo Fackeln'), auch von „zween Stücken“ oder „zween Weibern“ ('richtig' wären die alten neutralen Bezeichnungen 'zwei Stücke“ oder 'zwei Weiber'). Dazwischen findet das Blinde Huhn auch manchmal zufällig das Rechte mit den alten maskulinen Formen „zween Körbe“ oder „zween Herren“.
 
Bedeutendere, sprachbewußte Dichter verfahren da entschieden sorgfältiger, so etwa Theodor Fontane, Conrad Ferdinand Meyer oder Wilhelm Raabe, die beim Einbringen veralteter Sprachformen „zween“ fast immer richtig liegen (Ausnahmen finden sich bei Fontane selten: etwa „zween Wochen“, wo die feminine Form „zwo“ zutreffend gewesen wäre. Ausgerechnet Theodor Storm, der in seinen Erzählungen so gern alte Chroniken oder Dokumente imitiert, versieht es in seiner „Chronik von Grieshuus“: „zween Schreiben“ statt 'richtig' 'zwei Schreiben' - „zween“ klingt eben altertümlicher.
 
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gehen die Schriftsteller immer sorgloser mit dem Numerale „Zween“ um: „zween Fässer“ (Bechstein), „zween Krücken“ (Wilhelm Busch), „zween Minuten“, „zween Narzissen“ (Arno Holz) usw. Der heutige Umgang mit dem Numerale bedarf keiner Nachweise, wie der kleine, hier eingangs zitierte Beleg zeigt.
 
Eine andere interessante Frage ist, warum sich in den neueren Entwicklungen der germanischen Sprachen unterschiedliche Vereinheitlichungen des Numerale „Zwei“ ergeben haben. Auf die ursprünglich all diesen Sprachzweigen gemeinsame Bezeichnung des Femininum „Zwo“ gehen bereits vor der zweiten Lautverschiebung (um 600 n.Chr, wo aus „t“ ein „z“ wurde, z.B, „toll“ zu „zoll“) entwickelte Formen zurück: englisch „two“, dänisch und norwegisch „to“, schwedisch „två“, friesisch „twa“; nach der zweiten Lautverschiebung bairisch „zwoa“, schweizerdeutsch „zwöi“. Ebenfalls vor der zweiten Lautverschiebung entwickelten sich aus der Neutrum-Form „tzwei“ niederländisch und afrikaans „twee“ (so auch niederdeutsch wie etwa der durchgehende Gebrauch in einigen plattdeutschen Märchen der Brüder Grimm zeigt), hochdeutsch „zwei“. Im Luxemburgischen gibt es heute eine seltsame Zwitterform „zwee“ mit lautverschobenem Konsonanten „z“ und niederdeutschem Vokalismus „ee“.
 
Eine häufig in der alten Sprache begegnende Bezeichnung für die Ordinalzahl „Zweite“ ist „Andere“ (Friedrich der Andere ist Friedrich der Zweite; Grimmelshausen unterteilt noch 1669 seinen „Simplizissimus“ in „das erste, das andere, das dritte Buch“). Erhalten hatte sich dieses Wort länger im heute weithin unverständlich gewordenen Adverb „selbander“ in der Bedeutung „selbzweit“ (in schwäbischen Wörterbpüchern noch als „selbzwoit“ belegt), das heißt 'man/er selbst und ein zweites/zweiter'. „Ander“ in dieser Bedeutung wegen Homonymenfurcht fast gänzlich ausgestorben: „andere“ bezeichnet vornehmlich nur noch eine unterschiedliche „andere“ Gruppe ohne bestimmte Zahlangabe. Für das Schwinden der älteren Bedeutung findet sich ein sprechendes Beispiel in der Transkribierung eines Geistlichen Liedes aus einer Handschrift des frühen 17. Jahrhunderts durch den Dichter Clemens Brentano im Zuge seiner Arbeiten für die Liedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“ (1805). Die alte Überschrift „Ein Annder gesang von des herrn weingarten“ - das heißt: ein zweiter Gesang - wurde von Brentano verlesen zu „Ein Rundgesang“, weil er das schwungvoll geführte „er“-Kürzel für einen u-Bogen über dem ersten „n“ hielt, das er fälschlich als „u“ gelesen hatte. Als Konsequenz daraus änderte er das „A“ in „R“. Das alte Geistliche Lied („Ich weiß mir einen schönen Weingarten...“) mit seinen allegorischen Ausdeutungen des Abendmahlweines steht bis heute im „Wunderhorn“ unter der irreführenden Überschrift „Ein Rundgesang von des Herrn Weingarten“ („Ich weiß mir einen schönen Weingarten...“). Ein Rundgesang (Rundadinella) ist ein strophenweise von einer fröhlich feiernden Tischgesellschaft reihum gesungenes Lied – das alte fromme Osterlied ist alles andere als das.
 
Die Zahlenbezeichnung „zwo“ war in ihrer alten ausschließlich femininen Bedeutung durch die Vereinheitlichung des Numerale in der „Zwei“ aufgegangen. In der früheren Funktion überwiegend 'richtig' gebrauchen sie etwa noch Storm, Fontane, Raabe und Wilhelm Busch (bei allen aber auch in der im historisierenden Kontext fehlerhaften Zuordnung: „zwo Recken“, „zwo Bauern“, „zwo Köter“, “zwo Bilder“, „zwo Gläser“). Ganz wild durcheinander geht es erwartungsgemäß wieder bei Meinhold in seiner insgesamt gescheiterten Imitation eines Textes aus dem 17. Jahrhundert zu, der „zwo“ willkürlich für alle drei Genera einsetzt: „zwo Rappen“; „zwo Brode“, „zwo Dörfer“; „zwo Kühe“, „zwo Taufen“.
 
Die vereinheitlichende neuhochdeutsche Form „zwei“ ist durch Diphthongierung (î > ei; vergleiche mhd. „mîn“ > nhd. „mein“, „sîn“ > „sein“) entstanden, wie der in noch vielen Worten erhaltene ältere Lautstand erweist: „Zwiegepräch“, „Zwiespalt“, „Zwieback“. Damit war die Gefahr der akustischen Verwechselung mit „drei“ gegeben, wie sie vor allem bei Telefongesprächen bestand, so daß die 'Fräulein vom Amt' gehalten waren, statt „zwei“ konsequent „zwo“ zu sagen – das entspricht also keiner organischen Sprachentwicklung, sondern ist eine willkürliche Setzung.
 
Die Frage, warum einige Sprachen bei der Vereinheitlichung der drei alten Bezeichnungen auf die feminine Form, andere auf die neutrale Form zurückgegriffen haben, ist wohl bis heute nicht geklärt, gibt also diversen Spekulationen noch hinlänglich Spielraum.
 
 
© Heinz Rölleke für die Musenblätter 2020
 
 Redaktion: Frank Becker