Eine köstliche Zeitreise

Alltagskultur der 60er, 70er und 80er in kult! Nr. 22

von Steffi Engler

Eine köstliche Zeitreise
 
Alltagskultur der 60er, 70er und 80er
in kult! Nr. 22
 
Ich weiß ja nicht, was Sie in den bisherigen Wochen der zwischenmenschlichen und  räumlichen Beschränkungen so getan haben, damit Ihnen nicht die Decke auf den Kopf fällt, ich jedenfalls hatte in den letzten Tagen keine Langeweile. Beim Eintauchen in die Vergangenheit der Alltagskultur der 60er, 70er und 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts vergißt man wirklich all den Ärger um einen herum. Die Redaktion von kult!, des besten Nostalgiemagazins auf dem deutschsprachigen Markt, hat nämlich genau zum richtigen Zeitpunkt seine 22. Ausgabe vorgelegt, trotz diverser administrativer Schwierigkeiten, wie Herausgeber Fabian Leibfried im Editorial anmerkt. Umso dankbarer bin ich (auch in „splendid isolation“ zu Hause) für das interessante, spannende und wieder einmal äußerst unterhaltsame Angebot, das kult! mit diesem wieder einmal prall vollen Heft vorhält. Glücklich, wer ein Abonnement auf kult! hat, denn er muß nicht zum Kiosk laufen (der vielleicht sogar zu ist), sondern bekommt das Heft frei Haus.
 
Ich weiß ja mittlerweile, daß den Jungs und Mädels von kult!, wenn ich das mal so salopp sagen darf, denn die Damen und Herren sind gut eine Generation älter als ich, offenbar nie der Stoff ausgeht. Und doch bin ich jedes Mal wieder überrascht, was sie alles aus der Wundertüte ihrer Archive hervorzaubern. Diesmal ist die Palette wieder ein bunter Mix aus Pop-Kultur, Kino, Comics, Magazinen, TV-Serien, Zeitschriften, Mode und Werbe-Ikonen. Schauen wir mal ins Inhaltsverzeichnis (im Auszug): 60 Jahre Jim Knopf, Steve McQueen, Jugend- & Musikzeitschriften (Poster, Pop & Petting), Micky Maus, pardon, der Esso-Tiger, Al Bundy, Miss Marple, das Jahr 1970, Agneta Fältskog (von ABBA), Illustrierte Klassiker, Flipper-Automaten, ZACK, McDonald´s. Nur ein Auszug, wie gesagt.
 
 

Das ist Schmökerstoff vom Feinsten, bunt gemischt und bestens recherchiert von bewährten Autoren wie Thorsten Schatz, Michael Klein, Hans-Joachim Neupert, Roland Schäfli, Jörg Palitzsch, Andreas Kötter, Kathrin Bonacker u.v.a.m..
All das, was auch im aktuellen Heft vorgestellt wird, ist für die Generation Ü 50 pure Nostalgie und ein Trip zurück in ihre schönsten Jahre, die der Jugend nämlich. Für mich ist es nicht zum erste Mal ein faszinierender Ausflug in eine Zeit, um die ich die Älteren manchmal beneide, sieht sie doch so strukturiert und überschaubar aus – anders als das von verrückten Präsidenten, tödlichen Viren, planvoller Umweltzerstörung, rücksichtslosem Kapitalismus, politischem und wirtschaftlichem Betrug bis in die höchsten Ebenen, der Herrschaft von Banken, von Handels- und Internet-Giganten, Waffen- und Automobil-Herstellern, von Flucht und Vertreibung beherrschte und gebeutelte Heute. Fast beneide ich das Gestern um den Kalten Krieg und die klaren Linien. Gut, dann wäre es nicht das Deutschland, in dem ich aufgewachsen bin und in dem ich mich (noch) wohlfühle. Aber ich kann manchmal sogar Leute verstehen, die sich nach den klaren Verhältnissen von damals sehnen.
 
 

Aber zurück zu kult! Nr. 22. Da geht es z.B. um das Micky Maus-Heft, der 70er Jahre, das damals, also vor 50 Jahren, noch wöchentlich erschien und ganze 90 Pfennig kostete, das wären umgerechnet nicht einmal 50 cent. Heute kostet das Micky Maus Magazin 3,99 €, also umgerechnet rund 8,- DM, das sechzehnfache – wenn das keine Inflation ist! Horst Berner hat sich auf drei reich illustrierten Seiten intensiv mit dem legendären Comicmagazin befaßt, das sich damals noch „Die größte Jugendzeitschrift der Welt“ nannte. Tempi passati. Aber schön war es, wie mir ein Blick ins Musenblätter-Archiv zeigte, in dem nocheinige alte Hefte schlummern. Die Zeichner von damals wie Paul Murry, Tony Strobl, Romano Scarpa oder Jack Bradbury leben schon lange nicht mehr, und das Heft, das in den 70ern noch der wöchentliche Wunsch der meisten Kinder war, ist – wie in den frühen 50ern - nur noch alle zwei Wochen das Ziel von Fans.
 
 

Weil wir grade bei Jugendmagazinen sind: Thorsten Schatz hat unter dem Titel „Poster, Pop & Petting“ mal aufgelistet und auf sechs Seiten untersucht, was es in den 60ern und 70ern auf dem umkämpften Markt in Ost (eher wenig) und West für Jugendliche  gab. Viele kult!-Leserinnen und -Leser werden als Jugendliche „Bravo“-, „Rocky“-, „Neues Leben“-, „Mädchen“- oder „Popcorn“- Hefte gelesen haben, denn diese und viele andere maßgeschneiderte Jugend- und Musikzeitschriften waren aus dem Leben ganzer Teenager-Generationen hierzulande nicht wegzudenken. Dr. Sommer mit seinen Lebensratschlägen in BRAVO ist legendär geworden. Wie sind diese Magazine entstanden? Wie haben sie sich entwickelt? Und warum waren sie für Jugendliche so wichtig? Dem geht Thorsten Schatz mit einer Reise durch die bunte Geschichte der deutschen Jugend- und Musikmagazine nach.
 

Die köstlichen Miss Marple-Filme kenne ich aus zig Wiederholungen im Fernsehen, Al Bundy und seine Familie mit Peggy, Bud und Dumpfbacke Kelly (ich liebe sie alle) erscheinen in Endlos-Wiederholungen noch immer in Kommerz-Sendern, Jim Knopf aus der Augsburger Puppenkiste darf kein Neger mehr sein, Agneta von ABBA ist 70 geworden (viel mehr als nur „die Blonde von Abba“), der Weiße Papp-Hai ist in die Jahre gekommen, pardon, die beste Satire-Zeitschrift seit dem Simplicissimus ist Geschichte, alle reden von McDonald´s und niemand von „Wimpy“, und leider gibt es kein Bildungsangebot für Leseunwillige mehr, wie es die Illustrierten Klassiker waren, die zwei Jahrzehnte lang kin Comics verpackte Literatur und Geschichte an junge Leser brachte. Das und viel mehr, also jede Menge Kult bietet das 22. Heft von kult! .
 
 

Die Musenblätter-Redaktion und ich lieben kult! – und wir empfehlen das Magazin allen unseren Lesern und natürlich auch den Leserinnen  von Herzen – mit einem Musenkuß!
 
kult!  Nr. 22 
© 2020 NikMa Verlag, 110 Seiten
Viele ältere kult!-Hefte sind übrigens noch nachzubestellen, jedes kostet immer noch nur 6,50 €.
 

Redaktion: Frank Becker