Medizin und Wissenschaft

Johannes Köbberling – „Der Wissenschaft verspflichtet“

von Johannes Vesper

Medizin und Wissenschaft
 
„Die Unwissenschaftlichkeit ist der Boden der Inhumanität.“
(Karl Jaspers)
 
Wichtige Probleme der Medizin in den letzten 50 Jahren werden hier angerissen. Paramedizin, evidenzbasierte Medizin, Ökonomisierung der Medizin, kritische Pharmakotherapie, Fehlerkultur und Risiko-Management in der Medizin werden vor allem unter den Aspekten eigener, dazu publizierter Beiträge behandelt. Das Ganze wird gemischt mit autobiographisch-privaten Notizen und das Thema des Buches entspricht dem Vortrag, den der Autor 1997 als damaliger Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin beim Internistenkongress in Wiesbaden gehalten hat. Ausgehend vom „autistisch undisziplinierten Denken in der Medizin“ (Bleuler 1919) legte er unter dem Hinweis auch auf Karl Popper Wert darauf, daß es im Rahmen der wissenschaftlichen Medizin darum gehe, bestehende Dogmen zu hinterfragen, Fehler zu korrigieren, eigene Irrtümer einzugestehen, Theorien durch Daten und Fakten in Frage zu stellen. Die wissenschaftliche Medizin entwickele sich sozusagen durch die Geschichte ihrer Irrtümer! Sie werde, schrieb Köbberling damals, in der Öffentlichkeit und von Teilen der Presse verzerrt dar- und einer angeblich „menschlicheren“, alternativen Naturmedizin gegenübergestellt.
 
       Immer wieder wurde gegenüber der wissenschaftlichen Medizin, die ihre Ergebnisse durch Studien ständig überprüft, der Vorwurf erhoben, dass sie sich mit ihrem Ansatz nicht um den ganzen Patienten und Menschen kümmere. Der Vorwurf lautete damals und gelegentlich noch heute, das schaffe die alternative Medizin, auch Paramedizin oder Komplementärmedizin genannt, besser. Die umfasse aber eine Vielzahl von Methoden und Konzepten der Behandlung und Diagnostik, die eben nicht wissenschaftlich, sondern traditionell oder durch Erfahrung völlig unzureichend begründet werden. Früher habe man von Kurpfuscherei gesprochen, inzwischen werde durch positive Begriffe (s.o.) versucht, den Mangel und Makel der fehlenden Wissenschaftlichkeit loszuwerden. Ergebnisse der Zellulartherapie, Ozontherapie, Chelattherapie, Symbioselenkung Magnetfeldtherapie, Bioresonanz, Homöopathie oder Irisdiagnostik, Elektroakupunktur, Auspendeln und viele weitere Methoden sind in keiner Weise belegt und werden von Heilpraktikern, über deren Verbot man inzwischen ja nachdenkt, aber auch von Ärzten angeboten. Im umfangreichen Vortrag von 1997 wurden diese Probleme ausgeführt. Der sei damals sogar in einer großen Wochenzeitung publiziert worden und ist im Anhang des Buches jetzt noch einmal abgedruckt. Denn der Konflikt zwischen Meinung und Tatsache, zwischen wissenschaftlichen Daten und Behauptung, zwischen fake news und belegter Evidenz hat aktuell vielleicht noch größere Relevanz als 1997 nicht nur innerhalb der Medizin. Alle die damals behandelten und in dem Buch wieder aufgeworfenen Fragen aber verdienten es allerdings, nicht nur im Spiegel der eigenen, wissenschaftlich erfolgreichen Karriere noch einmal vorgetragen,  sondern aktuell unter Berücksichtigung auch der Entwicklungen in den letzten 25 Jahren neu bedacht zu werden. Wichtige Probleme wie Betrug in der Wissenschaft, Probleme der Drittmitteleinwerbung, die Rolle der Pharmaindustrie, Sinn und Wissenschaftlichkeit von Konsensuskonferenzen, Leitlinienmedizin und Korruption werden allenfalls gestreift, wie auch das Wesen der Medizin als Verbindung zwischen Wissenschaft, Fürsorge, Zuwendung, Verständnis, Empathie und neuerdings eben auch Ökonomie. Fundierte Gedanken dazu und zur verlorenen Kunst des Heilens findet man u.a. bei Bernhard Lown, dem weltbekannten Kardiologen.
 
       Als ehemaliger Chefarzt und Internist hat Köbberling die Ablösung der Halbgötter in Weiß und ihrer Privatliquidation wie die systematische Ökonomisierung der Kliniken, die Gefährdung der Medizin bzw. der Patientenbehandlung durch ökonomische Bevormundung sowie den medicus oeconomicus selbst erlebt und seine persönlichen Erlebnisse in den Diskurs durchaus eingebracht. Chefarztverträge mit Bonuszahlungen für ökonomisch erfolgreich geführte Kliniken stellen in dem Zusammenhang eine besondere Gefahr für eine wissenschaftlich begründete und sachkundige medizinische Patientenbehandlung dar.  Stolz, zufrieden und ausgiebig breitet der Autor in seinem Buch die eigene wissenschaftliche (ca. 300 Publikationen) und ehrenamtliche Betätigung auf den verschiedensten Feldern auch außerhalb der Medizin aus. Der Resonanz seiner Arbeiten bei Kollegen und in der wissenschaftlichen Welt widmet er gar ein eigenes Kapitel und die Zahl der Ehrungen (inklusive des Bundesverdienstkreuzes) für alle seine Aktivitäten werden die Leser beeindrucken. Johannes Köbberling vollendete im April 2020 sein 80. Lebensjahr. Herzlichen Glückwunsch dazu. 
 
Johannes Köbberling – „Der Wissenschaft verspflichtet“
Biographische Notizen und Plädoyer für eine am Patientenwohl orientierte menschliche Medizin
© 2020 Walter de Gruyter GmbH Berlin/Boston. Gebunden 214 Seiten ISBN978-3-11-067655-6
59,95 €
Weitere Informationen:  www.degruyter.com/