Kafka in Berlin

Hans-Gerd Koch begleitet das literarische Genie zu dessen 125. Geburtstag in die Reichshauptstadt

von Frank Becker
Nach Berlin!

Was Egon Erwin Kisch 1905 seinem Bruder Paul über Berlin schrieb, ist wenig schmeichelhaft und wohl kaum der Anreiz für Franz Kafka gewesen, unbedingt dorthin zu wollen. Den Anstoß gaben dann doch wohl eher die begeisterten und begeisternden Beschreibungen anderer Freunde, die entweder als Prager Berlin schätzen gelernt hatten oder als Berliner zu Gast in Prag das von Kisch angekratzte Renommee mit der Politur des Wohlwollens ansehnlich gemacht hatten. Den Mißerfolg einer Parisreise, die er 1910 vorzeitig abbrechen mußte, nahm Franz Kafka zum Anlaß, noch im nämlichen Jahr den Zug nach Berlin zu nehmen und sich dort ins Vergnügen zu stürzen.

Das darf man wörtlich nehmen, denn Kafka sog Nektar aus den Varietés und Konzerthäusern, Opern- und Operettenhäusern, Theatern und Revuen der Reichshauptstadt, die er ausgiebig frequentierte. Seine Briefzeugnisse und Aufzeichnungen sprechen eine Sprache der Begeisterung. Begeisterung erfaßt ihn auch für "die Berlinerin", die für Kisch "ein ganzes Konglomerat von Ekeln" war, in Gestalt der Seelenfreundin Felice Bauer, die er 1912 in Prag bei Max Brod kennenlernt. Die Leidenschaft, die ihn für die Berliner Großstadtpflanze erfaßt, äußert sich in immerhin 400 Briefen, die bis zum Wiedersehen im März 1913 binnen nur sieben Monaten zwischen beiden gewechselt werden. Die von der räumlichen Distanz gebeutelte Beziehung zu Felice Bauer endet nach Verlobung, Entlobung und Wiederannäherung schließlich 1917, als in Prag seine Lungentuberkulose ausbricht.

Doch Berlin und der Traum vom Leben in der Metropole läßt Kafka nicht los. 1923 lodert noch einmal die Flamme der Leidenschaft auf, als er in Müritz Dora Diamant (Dymant) kennen und lieben lernt. Gemeinsam beziehen sie eine Wohnung in Berlin- Steglitz, schließlich ein Zimmer im Grunewald. Heiratspläne werden geschmiedet. Kafka ist krank und hinfällig, aber glücklich. Doch schließlich zwingt ihn die fortschreitende Tuberkulose, nach Prag zurückzukehren. Er stirbt am 3. Juni 1924.

Hans-Gerd Koch ausgewiesener Kafka-Kenner und Lektor im Wagenbach Verlag, der seit 1982 die Kritische Kafka-Ausgabe betreut und neben einer Brief- und einer Werkausgabe auch Themenbände zu Kafkas Leben ediert hat, ist Kafkas Berliner Spuren akribisch, erfolgreich und nicht ohne Humor gefolgt. Der vorliegende Band 153 der Reihe Wagenbach  ist ein Bonbon der fortgeschriebenen Kafka-Forschung. Angereichert mit Zeitkolorit in Form von Fotos und Dokumenten, die den Leser in den Stand versetzen, sich in Kafkas Zeit zu denken, ist das informative wie unterhaltsame Buch sehr zu empfehlen.

Zwar schon im April dieses Jahres in die Läden gekommen, ist der elegant aufgemachte Band dennoch ein feines und angemessenes Geschenk zu Franz Kafkas 125. Geburtstag, den wir heute feiern dürfen.

Beispielbild

Hans-Gerd Koch
Kafka in Berlin


© 2008 Verlag Klaus Wagenbach
   - Wagenbach


140 Seiten, Leinen, mit vielen zeitgenössischen s/w-Fotos

15,90 € [D]
28,50 sFr / 16,40 € [A]
ISBN 978-3-8031-1252-1


Weitere Informationen unter:
www.franzkafka.de
www.wagenbach.de