Lesevergnügen mit Wagenbach

Empfohlen

von der Musenblätter-Redaktion

 

         

 

Alan Bennett – „Der souveräne Leser“
  Michelle Winters – „Ich bin ein Laster“

Lesevergnügen mit Wagenbach
 
Seit die Corona-Epidemie uns zwingt, endlich einmal im heimischen Gehäuse zu bleiben und man entdeckt, wie gräßlich einfallslos das Fernsehprogramm ist, beginnen viele, das Buch für sich wiederzuentdecken. Die schlechteste Idee ist das nicht, zumal man in den Frühjahrskatalogen der deutschen Verlage ganz wunderbare Neuerscheinungen findet. Wir haben in dieser Woche ein Hilfspaket des Berliner Verlages Klaus Wagenbach ausgepackt und möchten Ihnen vier Titel ans Herz legen, welche uns überzeugt haben. Wir finden, daß einer Kurzbeschreibung der ausgezeichnete Klappentext der Bücher durchaus Genüge tut, begnügen uns mit einem kurzen Kommentar und sind sicher, vielen unter Ihnen damit den einen oder anderen guten Tip geben zu können. Viel Vergnügen!

Alan Bennett – „Der souveräne Leser“
Aus dem Englischen von Ingo Herzke
© 2020 Wagenbach SALTO, 141 Seiten, rotes Ganzleinen, mit Schildchen und Prägung, Fadenheftung -  ISBN 978-3-8031-1349-8
18,– €

Alan Bennett ist ein begnadeter Schriftsteller, aber auch ein passionierter Leser. Mit dezidierten Meinungen: voll des Lobs für seine Lieblinge, voll des Spotts für manch überschätzten Autor.
Seine Liebe zu Büchern entdeckte Alan Bennett früh. Im Gefolge von Dr. Doolittle begann er in der Armley Public Library in Leeds diesem Hobby ausgiebig zu frönen, obwohl seine Mutter Bücher aus der Bibliothek als unhygienisch empfand. Bis heute liest Bennett gerne ausgeliehene Bücher und erfreut sich an hineingekritzelten Kommentaren. Seine eigenen Lektüreeindrücke, akkurat vermerkt in seinen detaillierten Tagebüchern, zeugen von seiner wilden Phantasie (inklusive Spekulationen über pikante Szenen im Leben anderer Schriftsteller), überbordendem Humor (nichts ist ihm heilig) und Argwohn gegen jede Bildungshuberei (manches Sachbuch hält da nicht stand).
Während er beispielsweise Puschkin bräsig, Achmatowa banal und Isaiah Berlin langatmig findet oder Saul Bellow »Designerprosa« vorwirft, ist er verzückt von W. G. Sebald, Philip Roth, Ludwig Wittgenstein oder auch hierzulande kaum bekannten Autoren wie Denton Welch und Philip Larkin. Sein unerreichter Held aber ist Franz Kafka, und nichts ist ihm lieber, als sich diesen in Shorts am Gartenzaun in Letchworth vorzustellen, in Begleitung junger Damen, die ihm die Socken hochziehen.
- Alan Bennett legt ein offenherziges Lesetagebuch vor, das amüsiert und zu eigener Lektüre anregt. ros
 
 
Michelle Winters – „Ich bin ein Laster“
Aus dem kanadischen Englisch von Barbara Schaden
© 2020 Wagenbach SALTO, 139 Seiten, rotes Ganzleinen, mit Schildchen und Prägung, Fadenheftung – ISBN: 978-3-8031-1352-8
18,– €
 
Eine rasante Kriminalliebesgeschichte im kanadischen Nirgendwoland, voller lustiger Begebenheiten und kurioser Wendungen. Und mittendrin der Kulturkampf zwischen französischem Folk und englischem Rock, zwischen Chevy und Ford und anderen unüberbrückbaren Gegensätzen.
Agathe und ihr hünenhafter Ehemann Réjean haben das Geheimnis einer harmonischen und sinnlich erfüllenden Ehe entdeckt: großzügig akzeptierte kleine Lügen. Auch nach 20 Jahren freut sich Agathe über seine Angler-Erfolge – obwohl der mitgebrachte Fisch offensichtlich aus dem Kühlregal kommt. Als genau dieser Ehemann von einem ebensolchen Angelausflug nicht mehr heimkehrt und sein vielgeliebter Chevy Silver samt dem unberührten Proviantkorb aufgefunden wird, tun sich allerdings ein paar Fragen auf.
Der trauernden Agathe geht bald das Geld aus, und so fängt sie an, in einem kirmeligen Elektronikgeschäft zu arbeiten. Ihre Kollegin Debbie, eine Ex-Cheerleaderin, bringt ihr das Autofahren, das Rock-and-Roll-Tanzen und noch so manches andere bei. Gleichzeitig wird Agathe von Réjeans Autoverkäufer und, wie sich herausstellt, allerbestem Freund heimlich verfolgt. Bis der Verlorengeglaubte einigermaßen verändert plötzlich wieder vor der Tür steht.
- Man gleitet in die Geschichte hinein wie in einen Maßschuh und möchte darin endlos weiterlaufen. len
 
 
Giuseppe Culicchia – „Turin ist unser Haus“
Reise durch die zwanzig Zimmer der Stadt
© 2020 Wagenbach WAT [823] -  
237 Seiten Seiten, Broschur  -  ISBN 978-3-8031-2823-2
Buch 14,– € / E-Book 9,99 €
 
Fabrikstadt, nordländische Sparsamkeit, zynischer Fußball? Schon lange nicht mehr! Der Turiner Giuseppe Culicchia entführt in seine elegante Heimatstadt und bürstet die Klischees gegen den Strich – denn selbst die »Preußen Italiens« feiern mittlerweile öffentlich.
Turin ist nicht Wolfsburg und sah auch nie so aus – doch lange wurde die Stadt am Po-Ufer das Klischee der Industriemetropole von Fiat und Co. nicht los, trotz Alpenpanorama und barocken Palazzi. Und die stolzen Turiner galten als typische Vertreter des Nordens: kühl, regelbedürftig und so diszipliniert wie die Abwehr von Juventus.
Alles Schnee von gestern, sagt Giuseppe Culicchia, selbst Italiener machen heute hier Urlaub – und er muß es wissen. Schließlich kennt Culicchia Turin wie sein eigenes Haus: vom Eingang (Bahnhof Porta Nuova) lädt er ein zum Flanieren auf dem Flur (unter den Arkaden der Via Roma), in die Küche (Porta Palazzo) oder zum Wühlen in der Abstellkammer (der Flohmarkt Il Balon). Nur bei der Wahl des Wohnzimmers kann er sich nicht entscheiden – denn in Turin gibt es bildschöne historische Cafés an jeder Ecke: unter anderem das Mulassano, das Fiorio, das San Carlo, das Baratti & Milano und nicht zu vergessen das Bicerin, wo schon Rousseau und Nietzsche zu Gast waren.
Anekdotisch, ironisch und mit Insidertipps führt Culicchia hinter die Fassaden seiner Heimatstadt. Und er läßt andere Turiner von ihrer Stadt erzählen: zum Beispiel Focaccia-Bäcker und Gianduiotti-Créateure. Denn die Turiner scheinen das Naschen quasi erfunden zu haben …
- Wer einmal dort war, hat diese charaktervolle Stadt an sein Herz gezogen - wie ich dieses köstliche Buch. bec
 
Paul Stänner – „Agatha Christie in Greenway House“
© 2020 Wagenbach SALTO, 114 Seiten, rotes Ganzleinen, mit Schildchen und Prägung, Fadenheftung – ISBN: ISBN 978-3-8031-1351-1
17,– €
 
Die Stadt Torquay an der »englischen Riviera« galt als einer der schönsten Orte des Empire. Hier war Agatha Christie beheimatet, hier fand sie Inspiration für ihre über hundert Romane. Und hier hortete sie wahllos Ideen, Spazierstöcke und Suppenterrinen.
Nahe Torquay, an der englischen Südküste, liegt Greenway House, ein großes Anwesen mit ausgedehntem Park und Bootshaus am Ufer des Flusses Dart. Mit den Tantiemen ihrer erfolgreichen Romane erwarb Agatha Christie 1938 ihr »Idealhaus«, an ihrem Geburtsort, wo ihr Vater als »Gentleman« gelebt hatte – so die Berufsbezeichnung in seinem Paß.
Paul Stänner erzählt die wechselvolle Geschichte dieses Hauses, das groß genug und mit sechzehn Toiletten ausreichend ausgestattet war, um im Zweiten Weltkrieg als Offizierskasino einer ganzen amerikanischen Flottille zu dienen. Er begibt sich auch auf die Suche nach Schauplätzen und Tatorten der Romane um Miss Marple und den Meisterdetektiv Hercule Poirot sowie nach den aus Verfilmungen bekannten Drehorten.
Stänner schreibt amüsant und anekdotisch, und en passant verstehen wir, warum Agatha Christie und ihre »Denksportmorde« bis heute unsterblich sind.
- Ein spannender Spaziergang durch die magische Welt einer meiner Lieblings-Krimiautorinnen. sab
 
Weitere Informationen: www.wagenbach.de


 

         

 

Giuseppe Culicchia – „Turin ist unser Haus“   Paul Stänner – „Agatha Christie in Greenway House“