188 Jahre Wilhelm Busch
Am 15. April 1832 wurde der große Humorist geboren.
Wer Karikaturen und Bildergeschichten zeichnet, dessen Strich muß einfach und auf das Wesentliche der bildnerischen Aussage konzentriert sein. Ausführlichkeit stört, Überflüssiges löst Ärger aus.
Wilhelm Busch war ein Meister des Stifts und der Feder und beherrschte die Kunst leichtfüßiger Konzentration. Scheinbar spielerisch bringt er seine Gestalten aufs Papier. Mit wenigen Strichen wird ein Charakter umrissen oder ein Handlungsablauf fixiert.
Verblüffend, daß der geniale Zeichner auch ein Sprachkünstler war, ein Jongleur mit Worten, erfindungsreich und witzig. Das beginnt schon mit den Figuren, die er uns vorstellt und die er mit passenden, aufschlußreichen Namen ausstattet. Etwa der rundliche und glatzköpfige Tobias Knopp, der zerbrechlich-schlanke Balduin Bählamm mit seinen schmerzlich-gedankenvollen Gesichtszügen, der Maler Klecksel, der Kritiker Hinterstich, Schneider Böck, Lehrer Lämpel, Herr Bötel und Frau Zwiel.
Sie alle begleiten uns, weil sie uns vertraut geworden sind mit ihren Marotten, Mängeln und Manieren. Bei den einen erkennen wir liebenswerte Eigenschaften und verzeihliche Schwächen, bei anderen schwarze Hintergedanken und abgründige Bosheiten. Wir behalten ihre Namen im Gedächtnis, denn sie stehen für ihre unverwechselbare Identität. Denken wir zum Beispiel an Witwe Bolte oder Pater Filuzius!
Sprachschöpferischer Reichtum entfaltet sich bei Wilhelm Busch besonders auf einem Gebiet, das seine Bezeichnung der Welt der Töne und zugleich der Bildenden Kunst entlehnt, der Lautmalerei.
Einige Beispiele:
„Habuh! Da ist er! Steif und kalt.
Ein Kerl von scheußlicher Gestalt!“
(Die ängstliche Nacht)
„Zum Glück ist Wasser in der Näh' -
Perdums! Kopfüber in den See!“
(Schnurrdiburr oder Die Bienen)
„Zing, Zing! Taromm! - Und auf der Stelle
Ertönen die Klänge der Hofkapelle.“
(Schnurrdiburr oder Die Bienen)
„Ach! - Die Venus ist perdü
Klickradoms! - von Medici!“
(Die fromme Helene)
„Aujau! Er fällt - denn mit Geblase,
Schießt Franz den Pfeil ihm in die Nase.“
(Das Pusterohr)
„Perdatsch!! - Die alte, brave Lene
kommt leider grad' zu dieser Szene.“
(Das Bad am Samstagabend)
„Hulterpulter! Durch das Fenster
Springt man in die Nacht hinaus.“
(Pater Filuzius)
„Wutschi - Der Joseph liegt im Saft.
Der Hut entfernt sich wirbelhaft.“
(Der Zylinder)
Hier erweist sich der gedankentiefe Verseschmied als spontaner Wörterfinder, der lautmalerisch kräftige Akzente setzt. Wo die Feder mit einer raschen Linie ein Geschehen bannt, schlägt der Dichter plötzlich mit der Pranke zu und „übertönt“ den Fall/Unfall mit einem Ausdruck, der wie Trommelschlag und Trompetenstoß erklingt. Daß der geniale Zeichner auch die Sprache meisterhaft zu handhaben weiß, erfüllt uns mit Bewunderung. Bei einer so überzeugenden Doppelbegabung, wie sie uns in Wilhelm Busch begegnet, ist die Frage, was in den Bildergeschichten zuerst da war, Wort oder Bild, müßig. Im Anfang gab es die Idee. Sie mußte aufs Papier gebracht werden. Dabei entfaltete sie sich in zweifacher Weise: bildnerisch und textlich. Entscheidend war dabei, daß die eine Ausdrucksform der anderen gemäß war, daß es zu einer Vermählung von ebenbürtigen Schöpfungen kam und damit zu einem einheitlichen Kunstwerk.
Dies wird man oft mit Befriedigung feststellen können. Die Einschmelzung der Idee in Text und Bild hat den einmaligen Stil von Wilhelm Busch begründet. Lassen wir uns nicht auf den kleinlichen Streit ein, ob im Einzelfall das eine Talent schwächer zur Geltung gekommen sei als das andere! Freuen wir uns an dem vielfach Gelungenen!
Wer Bildergeschichten entwirft, weiß, daß er der Kürze und Klarheit verpflichtet ist. Dies gilt für die Bildergeschichte ohne Worte ebenso wie für die Bildergeschichte mit „begleitendem“ Text. Bild und Text müssen gleichwertig sein, nur dann sind sie aus einem Guß. Arbeiten zwei Künstler von unterschiedlicher Begabung zusammen - der eine als Zeichner, der andere als Texter -, dann kann das peinlich wirken. Jedenfalls ist die Bildergeschichte als homogene Einheit mißlungen, wenn es einen erkennbaren Qualitätsunterschied gibt.
In Wilhelm Buschs Bildergeschichten erscheint die Idee in der gelungenen Doppelgestalt von Bild und Wort. Die innere Vorstellung initiierte und prägte beide Ausdrucksformen. Man erkennt den geistigen Zusammenhang und eine geheimnisvolle Disziplin, die das Zeichnen und Schreiben gleichermaßen bestimmt. Dieselbe Einfachheit und Prägnanz in Wort und Bild, dieselbe Anschaulichkeit und Treffsicherheit. Trefflich ist das Treffende. Was dem Leser/Betrachter vorgestellt werden soll muß „sitzen“.
Eine ähnliche Wendung vom Schmerz zur Sachlichkeit und Beherrschung der Situation treffen wir bei Witwe Bolte an. Ihr Lebenstraum ist mit dem von Max und Moritz herbeigeführten Erstickungstod des stolzen Hahnes und seiner drei wackeren Hühner dahin. Übrig bleiben vier noch warme Körper, die richtig zubereitet einen schmackhaften Braten abgeben. Die Tränen werden rasch getrocknet. In der Vorfreude auf eine köstliche Mahlzeit, die mit Sauerkraut angereichert wird, läuft Witwe Bolte das Wasser im Mund zusammen:
Der Zeichner ist a priori Beobachter. Beobachten ist ein geistiger Prozeß mit Hilfe der Augen. Erfaßt werden nicht nur Formen und Bewegungen, Sachverhalte und Handlungsabläufe, also Ursachen und Wirkungen, Beziehungen zwischen Menschen u.a.m. Der gute Beobachter bringt Gespür mit, das Spannungen registriert, Verborgenes aufdeckt, Kommendes vorausahnt.
Bei dem hervorragenden Beobachter Wilhelm Busch treffen wir vielfältige Kenntnisse und Erfahrungen, Überlegungen und Einsichten an, die er nicht nur zeichnerisch, sondern auch sprachlich „auf den Punkt“ zu bringen versteht. Das zeigt sich beispielsweise bei seinem Blick auf die Person und geistige Position eines Mitmenschen. der uns in lebhafter Erinnerung bleibt. Wie könnte man die pädagogische Grundhaltung des Rektors Debisch kürzer und klarer umreißen als mit dem folgenden Vers:
„Das ist Debisch sein Prinzip:
Oberflächlich ist der Hieb.
Nur des Geistes Kraft allein
Schneidet in die Seele ein."
(Tobias Knopp)
Wilhelm Busch gelingen Formulierungen, die einleuchtende Inhalte in eine ebenso präzise wie lapidare Kurzform bringen. Wir finden sie sowohl in Bildergeschichten als auch in seiner Gedankenlyrik. Mal kommen sie wie beiläufig daher, mal sind sie die Quintessenz längeren Nachdenkens. Kein Wunder, daß viele seiner knappen Wahrheiten und Weisheiten „Volksgut“ geworden sind und unseren Zitatenschatz bereichern!
Derartige köstliche und kostbare Gedankenfrüchte gibt es in großer Zahl. An einige sei hier erinnert:
Doch jeder Jüngling hat wohl mal
'n Hang fürs Küchenpersonal
(Die fromme Helene - Vetter Franz)
Es ist ein Brauch von altersher:
Wer Sorgen hat, hat auch Likör!
(Die fromme Helene)
Das Gute - dieser Satz steht fest
ist stets das Böse, was man läßt!
(Die fromme Helene - Onkel Nolte)
Rotwein ist für alte Knaben
eine von den besten Gaben
(Tobias Knopp - Rektor Debisch)
Und die Liebe per Distanz,
kurz gesagt, mißfällt mir ganz.
(Tobias Knopp)
Vater werden ist nicht schwer,
Vater sein dagegen sehr.
(Julchen - Tobias Knopp)
Hier haben wir also Wilhelm Busch: den Zeichner und Verseschmied, Gedankenreichtum und Beobachtungserfahrung so komprimierend, daß uns beglückende Einsichten geschenkt werden, ein Künstler, den man auch einen Philosophen und Poeten nennen darf. Seine Gesamtleistung als bildender Künstler und Sprachkünstler ist noch nicht recht erkannt und angemessen gewürdigt worden. Die Zusammenführung zweier Künste zu einem bedeutenden Gesamtkunstwerk ist einzigartig.
Wenn man selbst Zeichner ist, dann verharrt man lange in großer Bewunderung. Aber die bildlosen Texte des genialen Humoristen reizen. Zwar, Fehlendes läßt sich nicht nachtragen, und die „Handschrift“ des Meisters ist unerreichbar. Aber die Verführung ist zu groß Meine Zeichnungen zu einigen Texten sollen nichts sein als eine Hommage an Wilhelm Busch.
Joachim Klinger – „Tusch für Wilhelm Busch“
© 2020 Eigenverlag Joachim Klinger, 68 Seiten, Broschur A 4
Kontakt über die Musenblätter: www.musenblaetter.de
Gekürzte Fassung - Redaktion: Frank Becker
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