Würdigung für den Stammkneipenwirt

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker

Würdigung für den Stammkneipenwirt

Dies ist eine Würdigung für meinen Stammkneipenwirt:


»Oh Du mein Stammkneipenwirt, ich möchte Dich würdigen. Du Horst, Du bist immer da, wenn ich Dich brauche. Tag für Tag, Nacht für Nacht. Du Horst, Du Fels in der Brandung, Du Priester meiner wahren Religion, du Provider meiner unsteten Lebensart. Die Welt will mich nicht, du willst mich. Laß mich stürmen, laß mich schneien, Du bist da und öffnest Deine Türen. Du weißt, was ich vertrage und kennst meine finanziellen Möglichkeiten und erschaffst mir trotzdem ein Paradies. Albern und ausgelassen, verschlossen und verträumt sitzen wir uns gegenüber, Abend für Abend, und feiern unsere Trauer und pflegen unseren Schmerz.

Du Horst, Du weißt, wie man mit mir sprechen kann: „Ich sehe, daß Dein Herz brennt, komm, laß es uns löschen“. Oh, Du mein Stammkneipenwirt, das ist die Sprache, die ich verstehe. Du hast mir verziehen, als ich im Sommer nicht Deinem Wunsch „Alle reinkommen“ nachkam und draußen lärmte und die Anwohner störte, obwohl Dich dies in unglaubliche Schwierigkeiten bringen könnte. Ich weiß noch, wie ich dauernd schrie: „Ich bin ein Nichts, ich bin ein Nichts!“ - und Du mir geduldig klar machtest, daß es auch zum Erscheinungsbild eines Nichtses passen könnte, wenn es dieses leiser von sich gibt. Mensch Horst, Du hast mir verziehen, als ich einmal mich weigerte zu gehen, obwohl du Feierabend hattest und ich noch meinte Dir vorwerfen zu müssen, daß Du dich abhängig gemacht hast vom schnöden Mammon und dann deinen Deckel nicht zahlen konnte und Du den Deckel vor meinem Augen aufaßest und mich beschämtest wie einen Trinker. Oh, Du mein Horst, Du warst mir auch nicht böse, als ich mal behauptet habe, daß Dein Wein nach Kork schmecken würde, und dies selbst noch nach der siebten Weinglasprobe zu schmecken glaubte.

Lieber Horst, Du bliebst immer fröhlich, wenn ich erzählte, wie traurig ich bin und daß sich das Leben nicht mehr lohnen würde. Du gabst mir dann einen Kuß und schicktest mich auf die Toilette und schon auf dem Rückweg zu Dir spürte ich, daß das Leben weitergehen mußte, weil ein frisch gezapftes Bier auf mich wartete. Oh, Du mein Stammkneipenwirt, Du hast es sogar ertragen, als ich unsere Stammkneipe wechseln wollte und dann nach drei Monaten wieder wie ein räudiger Hund vor Deiner Tür stand und rief: „Horst, laß mich ein! Laß mich wieder rein! Bitte, bitte, bitte. Laß mich nicht allein!“ - und Du die Tür aufrissest und ein Fest feiertest für den verlorenen Sohn, der zurückgekehrt war ins Haus seines Stammkneipenwirtes. Oh, Du mein Stammkneipenwirt, Du Horst meiner einsamen Tage. Dieses Gedicht ist für Dich und ich hoffe, daß damit mein letzter Deckel doppelt und dreifach abgezahlt ist. Die nächste Runde geht auf Dich.«


© Erwin Grosche