Kein großer Wurf

Woody Allen – „Ganz nebenbei“ - Autobiographie

von Johannes Vesper

Kein großer Wurf
 
Woody Allens Autobiographie.
 
Hat er nun seine 7jährige Tochter mißbraucht oder nicht? Die jahrelang darüber öffentlich geschleuderte Schmutzwäsche hat ihm zugesetzt. In die Beziehung zu der umwerfend schönen Mia Farrow sei er hineingeschlittert. Sieben Kinder, eigene und adoptierte, hatte sie schon aus der vorangegangenen Beziehung mit dem Dirigenten Andre Previn, als sie sich näherkamen. Die für seinen monumentalen Film „Zelig“ engagierte Schauspielerin überraschte ihn bald mit ihrem Vorschlag, zu heiraten. Zu einer Hochzeit kam es nicht. Na ja, sie wollte dann auch noch ein weiteres Kind von ihm. Zwei Mädchen adoptierte das Paar, dann wurde ein leiblicher Sohn geboren. Da spielte Leidenschaft schon keine große Rolle mehr und zu „Sex sei es ähnlich oft gekommen wie zu Sonnenfinsternissen“. Die Wäschetrommel des üblen Streits zwischen Woody Allen und seiner „Familie“ bzw. der Farrow-Fraktion um Mißbrauch und Sorgerecht rotiert in seiner Autobiographie „Ganz nebenbei“ ab Seite 250 für ca. 70 Seiten und dann gegen Ende noch einmal. Was bietet das bereits vor seinem Erscheinen umstrittene Buch darüber hinaus?
 
Allen schreibt in einem lockeren, leichten, „fluffigen“ Stil unterhaltsam über sein Leben und seine Frauen. Geboren wurde Allan Stewart Konigsberg am 30.11.1935. In Brooklyn verbrachte er seine Jugend, er erzählt über Eltern und Großeltern, schildert seine Herkunft aus einer Familie der unteren jüdischen Mittelschicht und berichtet vom Stolz seiner Mutter über das erstaunliche Ergebnis eines Intelligenztests ihres sechsjährigen Jungen. Seiner Schulkarriere nützte diese Intelligenz indes nichts. Batman, Superman, Donald Duck und Bugs Bunny waren seine Helden, und mit dem Lesen begann er erst nach der Pubertät, als er bemerkte, daß seine schönen, intelligenten, literarisch interessierten Klassenkameradinnen mit Comics nicht zu beeindrucken waren. Von zu Hause kamen keine Bildungsanstöße, aber die einige Jahre ältere Kusine Rita, die gab dem Jungen Impulse, ging mit ihm ins Kino, an den Strand, spielte Monopoly, Karten und nahm ihn voll in ihre Clique auf. Er war immer dabei, was sich für sein späteres höchst erfolgreiches Leben als ungeheuer wichtig herausstellte. Erfolg sei zu 80% Dabeisein und darüber hinaus Glück, erfährt der Leser viel später, als Partys im Stil des großen Gatsby mit den Größen des Showgeschäftes, der Kunst, der Politik, des Sports, hoher und höchster gesellschaftlicher Kreise veranstaltet werden konnten. Schulschwänzen brachte den Pennäler vor allem bei Kälte und Regen ins Museum, wo er sich schwer beeindruckt zeigte von Matisse, Picasso Chagall, Nolde, Kirchner uns was sonst so dort herumhing, schreibt er. Als Kind war er zunächst begeistert von seinem Zauberkasten, später wollte er immer und unter allen Umständen Comedian werden.
 
Merkwürdig muten gelegentliche, unmotivierte kurze Anmerkungen zum Holocaust an, der sich in Europa abspielt, während der Junge im heißen New Yorker Sommer im klimatisierten Kinosaal fasziniert die banalen Geschichten der High Society dieser faszinierenden Stadt auf Großleinwand verfolgt. Solche Hinweise auf Anne Frank, auf die Nürnberger Prozesse, auf Schindlers Liste u.a. erscheinen ohne signifikanten Bezug immer wieder mal im Textfluß.
Mit 16 Jahren kaufte er sich eine Schreibmaschine, eine Olympia, der er sein Leben lang treu blieb ohne je zu lernen, wie man das Farbband wechselt. Als Schüler verfaßte er Sprüche, Gags und Witze über Schwiegermütter, Parkplätze, Einkommensteuer, selten über das Zeitgeschehen, die trotz oder wegen ihrer Banalität offensichtlich ankamen. Er schickte sie an Zeitungskolumnisten und bald erschienen sie sogar in Zeitungen. Beim ersten Honorar träumte er vom schnellen Auto, vom Penthouse und nannte sich von nun an Woody Allen. In diesem Zusammenhang, also früh in der Biografie, liest man schon über sein Denkmal in Königsberg, in der Stadt aus der Kant stammt, mit der aber seine Familie nicht zu tun hat. Auch über sein Denkmal mit der charakteristischen Hornbrille im spanischen Oviedo erfährt der Leser schon jetzt. Zu mehr Geld wurden diese Texte gemacht, als er sie an eine Agentur verkauft, die damit berühmte aber humorlose Leute von Welt versorgte, damit sie seine Ergüsse für die ihren ausgeben konnten. Vierzig Dollar pro Woche sprangen für den Schüler dabei heraus. Nebenbei spielte und übte er täglich stundenlang Klarinette. Mit 17 Jahren suchte er zum ersten Mal einen Psychiater auf und redete sich lange ein, seine Macken in den Griff bekommen zu können. Denn trotz seines Erfolgs als Gagschreiber war er nicht glücklich, war bedrückt ängstlich, traurig und oft wütend.
Wen die Einzelheiten seines Lebens und seine Entwicklung vom jugendlichen Witze-Lieferanten zu einem der erfolgreichsten Filmemacher, Regisseure und Schauspieler des 20. Jahrhunderts interessieren, der wird seine Autobiographie selbst lesen müssen. Ihre banale Leichtigkeit mit ständiger Aufzählung wunderbarer Menschen, vor allem herrlicher Frauen ist schnell zu konsumieren. Die Stories über die Reichen und Schönen der amerikanischen Gesellschaft und Filmindustrie erinnern an Candace Bushnell (One Fifth Avenue, Sex in the City). Gelegentlich verliert der Autor den Faden, weist dann darauf hin, wenn er ihn wiederfindet und will so das Aneinanderreihen von interessanten und großartigen Menschen, mit denen er ständig zu tun hatte, auflockern. Sein Selbstwertgefühl scheint trotz der horrenden Erfolge immer hoch problematisch gewesen zu sein. Er selbst fürchtete, daß er als uninteressant, banal und enttäuschend wahrgenommen werde.
 
Mit 20 Jahren heiratete er zum ersten Mal: die Ehe ein Alptraum für beide, die sich gerade anschickten auf das College zu gehen. Harlene Rosen studierte Philosophie und entwickelte eigene Vorstellungen zum Leben. Beide hatten diese Beziehung schnell über und die Ehe kümmerte alsbald vor sich hin. Woody suchte erneut psychotherapeutische Hilfe, unterhielt aber als Solo-Comedian Abend für Abend gegen nicht schlechte Bezahlung in einem kleinen Theaterchen ein kleines Publikum mit seinen Witzen. Die junge Philosophin beendete die Ehe schnell, als Woody sich in die wunderschöne Louise Lasser verliebte, die sich, schlagfertig, gebildet, witzig, geistreich und sehr sexy,  mit ihm zusammen für Jazz-Schallpatten interessierte. Die chaotische Unordnung des Zimmers seiner Flamme hätte er als ersten Hinweis auf ihre Kompliziertheit und psychische Instabilität verstehen können. Quickie zwischen Mülleimern vor dem Restaurant zum bereits bestellten Abendessen, hysterischer Hyperventilations-Erregungszustand nachts um 3, „mal Schluß, mal Kuß“: Damit wurde Woody auf Dauer auch nicht fertig, sich tröstend mit Shakespeares 57. Sonett, wo solche Beziehungsprobleme bereits literarisch thematisiert worden sind. Nach fünf Jahren kam die Scheidung, die ihn nicht hinderte, die Beziehung noch in „Was schon immer über Sex wissen wollten aber bisher nicht zu fragen wagten“ einfließen zu lassen. Bald darauf traf Woody die bezaubernde, witzige, frische Tony Keaton, eine „Flitzpiepe“, mit der er nicht nur die grandiosen Blicke vom inzwischen gekauften Penthouse hoch über dem Central Park genoß, sondern mit der er auch Jahre nach der baldigen Trennung weitere Filme („Der Stadtneurotiker“, „Manhattan“ u.a.) produzierte. Viele Frauen, mit denen Woody Allen ein Verhältnis hatte und Filme produzierte, sind in der Autobiografie mit stets gleichen oder ähnlichen Worthülsen abgehandelt worden. Woody Allen legt Wert darauf, daß er nie eine Rolle gegen Sex angeboten oder vergeben habe, liest man.
 
Die 13 Jahre mit Mia Farrow waren nicht ehelich sanktioniert. Er habe den Haushalt gesponsert, ihr eine Million Dollar steuerfrei geschenkt, damit sie alle ihre Kinder versorgen konnte. All das endete im Beziehungskrieg, als Mia Nacktaufnahmen ihrer bereits erwachsenen Adoptivtochter Soon-Yi, die inzwischen mit ihrem Stiefvater Woody ein Paar war, auf dem Kaminsims fand. „Er hat mir meine Tochter genommen, jetzt nehme ich ihm seine“. Mit dem Vorwurf, er habe seine eigene Tochter Dylan, als sie 7 Jahre alt war, mißbraucht, stritt man vor Gericht, streute Unwahrheiten, bewarf sich mit Schlamm. Woody verlor das Sorgerecht für alle Kinder und Dylan wurde von ihrem Vater getrennt. In der Autobiographie wird all das noch einmal ausgiebig verhandelt. Was sich in dieser Patchwork-Familie wirklich abgespielt hat, kann wohl kaum geklärt werden und Schuldfragen wird der Leser nicht bewerten können. Die psychischen Verletzungen durch den immer bestrittenen, ungeklärten und nie strafrechtlich verurteilten Mißbrauch lebten vor wenigen Jahren wieder auf, als sich die inzwischen erwachsene Dylan im Zusammenhang mit der Mee-too-Bewegung noch mal dazu äußerte.
 
Auf den letzten Seiten wird das Buch, dem leider ein Namensregister fehlt, persönlicher und ernster, wenn Woody Allen bedauert, daß er so viele Seiten zu seiner Verteidigung gegen falsche Anschuldigungen glaubte verwenden zu müssen. Er bekennt, daß er darunter leidet, daß viele aus der Filmszene und Teile der Presse sich deswegen von ihm abgewendet haben. Das Erscheinen der Autobiographie war infolge der Vorwürfe in den USA wie in Deutschland gefährdet. Das sowieso angekratzte Selbstwertgefühl des sensiblen Künstlers, dessen Filme in der ganzen Welt gesehen werden, wurde dadurch sicher nicht gestärkt. Trotz allem genießt er noch beim Korrekturlesen die Erinnerung an alle seine wundervollen Frauen, in die er leidenschaftlich verliebt gewesen sei. Faul und undiszipliniert sei er sein Leben lang gewesen, vorwiegend bei Small Talk habe er seine Ideen zu den Filmen gefunden und sie nach dem Frühstück im Bett unleserlich aufgeschrieben. Seine Filme seien eigentlich nach dem Dreh beim Zusammenschneiden des Bildmaterials mit dem Cutter entstanden. Beim Filmen habe ihn vor allem der Spaß im Umgang mit charismatischen Männern und begabten wunderschönen Frauen interessiert. Zuletzt bewundert er neben Kusine Rita seine Frau Soon-Yi, mit der er inzwischen mehr als 20 Jahre zusammenlebt, und bedauert, daß ihm bei seinen Filmen nie ein großer Wurf gelungen sei. Das ist sicher stark untertrieben, trifft aber im Hinblick auf diese Autobiografie als Literatur wahrscheinlich zu. 
 
Woody Allen – „Ganz nebenbei“ - Autobiographie
Aus dem Amerikanischen von Stefanie Jacobs, Heiner Kober, Andrea O´Brien und Jan Schönherr
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel „Apropos of Nothing“ bei Skyhorse. New York.
© 2020 Rowohlt Verlag, 448 Seiten, gebunden – ISBN: 978-3-498-002222-0
25,- €
Weitere Informationen:  www.rowohlt.de
 

Redaktion: Frank Becker
Wir danken Peter Butschkow für die Illustration, die nicht im Buch auftaucht.