Lutz-Werner Hesse: Komponist – Musikwissenschaftler - Hochschullehrer

Ein Porträt zu seinem 65. Geburtstag

von Johannes Vesper

Lutz-Werner Hesse (Mitte), rechts neben ihm GMD Julia Jones - Foto © Karl-Heinz Krauskopf 

Lutz-Werner Hesse:
Komponist – Musikwissenschaftler - Hochschullehrer
 
Porträtiert
von Johannes Vesper
 
Am 15. Dezember des vergangenen Jahres wurde sein op. 82, „Ich habe Dich gewählt…“ ein Symphonisches Gedicht Nr. 2 für Sprecher, Mezzosopran, Chor und großes Orchester im großen Saal der Historischen Stadthalle Wuppertal uraufgeführt, und es gab gewaltigen Applaus für das nicht minder gewaltige Werk zu Ehren des 150. Geburtstages der Dichterin Else Lasker-Schüler. Wer komponiert in Wuppertal ein solches Werk bzw. wird von den Wuppertaler Bühnen damit beauftragt?
 
Geboren wurde Lutz-Werner Hesse am 30. April 1955 in Bad Godesberg, wo einst Haydn auf einer Reise von London nach Wien Ludwig von Beethoven traf. Hat ihn das als Kind interessiert? Vielleicht. Lutz-Werner Hesse hörte aber mit 12 Jahren in Mönchengladbach die 3. Sinfonie von Gustav Mahler, die 1902 unter Leitung des Komponisten schon mit dem gleichen Orchester uraufgeführt worden ist. Die Mahlerscher Musik faszinierte und beeindruckte ihn dermaßen, daß er sogleich anfing, Sinfonien aufzuschreiben, von denen aber -so sagt er - gottseidank nichts erhalten geblieben ist. Der Knabe lernte Horn und Klavier, begründete damit allerdings keine solistische Wunderkindkarriere. Aber das Interesse für Musik nahm bei diesem Instrumentalunterricht doch laufend zu. Seine musikalische Sozialisation erfolgte damals durch die in den 60er Jahren modernen Musiktruhen mit einem Plattenspieler, auf dem zunächst nur 78er Platten abgespielt werden konnten, bevor die späteren Vinyl-Schallplatten mit 33 Umdrehungen von seinen Eltern angeschafft wurden, die schon dank der Aufnahmen der der Deutschen Grammophon, EMI, und wie die Gesellschaften alle hießen, ein Klangerlebnis in HIFI Qualität ermöglichten. Der halbwüchsige Lutz-Werner konnte sich damals nicht satt hören an den Aufnahmen Beethovenscher Orchestermusik des Gewandhausorchesters Leipzig unter seinem damaligen Leiter Franz Konwitschny. Nach dem Besuch eines altsprachlichen Gymnasiums in Köln und dem Abitur studierte Lutz-Werner Hesse auf den vernünftigen Rat seiner Eltern hin zunächst Schulmusik im Hinblick auf einen Brotberuf, anschließend aber auch Latein, alte Geschichte, Komposition und Musikwissenschaft, in der er auch promovierte. Nach zweijährigem Schuldienst, an den er heute noch gerne zurückdenkt, nahm er eine Position als Dozent für Musikwissenschaft und Tonsatz an der Hochschule für Musik und Tanz Köln, Standort Wuppertal an. Der Musikhochschule Wuppertal war das Konservatorium, welches schon 1846 gegründet worden war, vorausgegangen. 1972 erfolgte die Trennung der musikalischen Bildung: Während die Bergische Musikschule Kinder, Jugendliche und Laien musikalisch förderte, fiel die professionelle Musikerausbildung in den Bereich der Musikhochschulen.


Lutz-Werner Hesse (rechts) im Gespräch mit Johannes Vesper - Foto © Karl-Heinz Krauskopf 

Inzwischen Professor, leitet Lutz-Werner Hesse seit 2009 dieses ehrwürdige Institut am Sedansberg, welches im ehemaligen Justizgebäude Barmen ein schönes, geeignetes und denkmalgeschütztes Domizil für die knapp 200 Studierenden und 68 Dozenten gefunden hat. Die Konzerte hier und auch in der Historischen Stadthalle auf dem Johannisberg mit Studierenden aus der ganzen Welt bieten den Wuppertalern ein reiches musikalisches Programm, welches ohne Eintrittsgeld genossen werden kann. Es ist schon erstaunlich, daß die jungen Leute aus fernen Ländern bis nach Wuppertal reisen, um hier die Musik Bachs, Beethovens, Schumanns zu spielen und zu studieren.
 
Während für Rachmaninow „Komposition einen wesentlichen Teil seiner Existenz wie Atmen oder Essen darstellte“ und er ständig „seinen Gedanken tonalen Ausdruck verleihen mußte“, versteht Hesse sein Leben anders. Natürlich lebt und brennt er für die Musik, stellt aber fest, daß das allein nicht ausreicht. Die Verwaltung der Musikhochschule, das Eintreten für die Interessen von Studierenden und Dozenten, die Tätigkeit als Anwalt für die Musik in der Bürokratie der Hochschullandschaft wie für die Pädagogik in Grund- und weiterführenden Schulen, hält er für einen wichtigen Pfeiler seiner Tätigkeiten. Jahrelang hat er als Vorsitzender die Bergische Gesellschaft für Neue Musik geleitet. Aber auch das gesellschaftliche Interesse an der Musik fördert er unermüdlich und mit großem. Erfolg. Seit 2003 sitzt er der traditionsreichen Konzertgesellschaft vor, die seit 1863, also inzwischen in der 155. Saison des Sinfonieorchesters Wuppertal das Musikleben der Stadt prägt: Seine unterhaltsamen und informativen Einführungen in die Sinfoniekonzerte weiß eine große Besuchergemeinde seit Jahren zu schätzen. Wissenschaftlich beschäftigte er sich vor allem mit den Komponisten Ralph Vaughan Williams, Edward Elgar und Dmitri Schostakowitsch.
 

Lutz-Werner Hesse - Foto © Karl-Heinz Krauskopf  

Und der Komponist Hesse? „Wer beherrscht Kontrapunkt und bezifferte Bässe, komponiert virtuos Esse, Cesse und auch Desse“ (aus dem Geburtstagsgedicht eines Reim-begabten Kollegen)? Zum Komponieren braucht er Muße, vorlesungsfreie Zeit, keine Sitzungen der Hochschulbürokratie, und er kennt durchaus Phasen eines Kreativitätsstaus. Kompositorisch kommt er nicht von der Improvisation her. Seine Musik ist überlegt. Sie orientiert sich nicht am Dogma Adornos, der nach der deutsch-europäischen, nationalsozialistischen Kulturkatastrophe mit Auschwitz, Holocaust und 50 Millionen Toten nur noch atonale Musik für möglich und sinnvoll erachtete. Seine „Philosophie der neuen Musik“ (1949) interessiert heute nur noch historisch interessierte Musikwissenschaftler. In die großen Konzertsäle schafft es diese intellektuelle zeitgenössische Musik nur gelegentlich. Lutz-Werner Hesse ist kein Adrian Leverkühn, seine Musik entspricht nicht der Avantgarde, die in Donaueschingen oder Witten aufgeführt wird. Emotionen, wiedererkennbare Themen und Motive kennzeichnen seine durchaus nicht konventionellen Kompositionen. Couragiert stellt er sich der musikalischen „Avantgarde“ entgegen, will sein Publikum erreichen, wenn er am Keyboard, seiner Notenschreibmaschine, die musikalischen Einfälle in Noten umsetzt. Seit ca. 2003 schreibt er Noten nicht mehr per Hand auf Notenpapier und übermittelt seine Werke dem Musikverlag nur noch elektronisch. Die „Last der Tradition“ bei ständiger Verfügbarkeit derselben auf CD oder jetzt gar mit „Streaming“ macht das Komponieren heutzutage nicht einfacher. Weder kommerziell motivierte Anpassung an den Markt noch epigonales Kopieren kommen für Lutz-Werner Hesse in Frage. Ihn leiten Ehrlichkeit und Authentizität des musikalischen Ausdrucks. Aktuell arbeitet er auf Wunsch eines Mäzens an einem kammermusikalischen Epitaph für den Ritter von Köchel, der sehr verdienstvoll die Mozartschen Werke katalogisiert hat. Es wird wohl eine Kammermusik für Streichquartett und Oboe geben.
 
Bei seiner letzten großen Komposition „Ich habe Dich gewählt..“, die durchaus im Gefolge der Orchesterlieder Gustav Mahlers gesehen werden kann, habe er zu Anfang für die Dramaturgie des Werkes welches nach den Vorgaben des Auftraggebers (Wuppertaler Bühnen und Sinfonieorchester) ca. 30 Minuten dauern sollte, Gedichte von Else Lasker-Schüler gesucht , die ihn „direkt ansprangen“. Nach Auswahl und Festlegung der Reihenfolge der sechs Gedichte habe er mit der Komposition begonnen unter dem Druck, daß zumindest Chor und Solistenpart zu einem festen Datum fertig sein mußten, da Chöre und Solistin eine gewisse Zeit für die Einstudierung benötigen. Immer vom Gedanken getrieben, ob die musikalischen Gedanken tragen, entstand im Verlauf von einigen Monaten diese sehr dichte und eindrucksvolle Komposition, die im Dezember 2020 vom begeisterten Publikum mit großem Applaus aufgenommen wurde.
 
 
Lutz-Werner Hesse am Kompositions-PC - Foto © Karl-Heinz Krauskopf 

Hesse schrieb u.a. Kammermusik (vier Streichquartette), vier Sinfonien, das „Konzert für Orchester“, „Variationen ohne Thema“, ein Violin-, ein Hornkonzert, eine Konzert für Mandoline und Streichorchester, die Vita di San Francesco - Elf Stationen aus dem Leben des Heiligen Franziskus von Assisi für Orgel und 13 Gongs - und vieles andere mehr. Seine Stücke wurden immer wieder vom WDR und anderen Rundfunkanstalten bei Konzerten mitgeschnitten, außerdem auch im Ausland bis hin in die USA und Japan aufgeführt (die „Vita“ mehr als 40mal!). Mehrfach gewann er Kompositionswettbewerbe.
 
Aus seiner Jugend stammt bei Lutz-Werner Hesse aber nicht nur die Liebe zur Musik, sondern auch im Gefolge von Jim Knopf das Interesse für China. Beim Betreten seines Direktorenzimmers in der Hochschule fallen sogleich 3 chinesische Skulpturen auf dem Klavier auf, die chinesische Instrumente spielen, Dizi (Flöte), Qin (ein Art Zither) und Pipa (ein Lauteninstrument). Er erzählt gerne, daß er vor vielen Jahren Post bekam von einer jungen Guzheng-Spielerein aus China, die ihre musikalische Ausbildung gerne mit dem Abschluß einer Musikhochschule aus Deutschland abschließen wollte. Er lud Chanyuam Zhao nach Wuppertal ein, komponierte für sie „Tian yu di – Himmel und Erde“, ein Konzert für Zheng und Orchester op. 42 (2003), welches 2004 in der Stadthalle Wuppertal mit dem Wuppertaler Sinfonieorchester uraufgeführt wurde und organisierte einen Studienplatz für sie. Seiner Ziehtochter gefiel es so gut in Deutschland, daß sie blieb. Etwas später besuchte Lutz-Werner Hesse zweimal China und bereiste den Norden wie den Süden.
 
Neben der Musik gilt sein besonderes Interesse der bildenden Kunst, hängen doch in seinem Arbeitszimmer drei große abstrakte Gemälde seiner Frau Ines Pröve Hesse, die als Malerin seit vielen Jahren regelmäßig ausstellt. http://www.inesproeve.de/vita.html
Sein großes Vorbild Gustav Mahler erregte in Hamburg nicht nur als Kapellmeister an der Oper und als Komponist Aufsehen, nein auch als Radfahrer. Gustav Mahler fuhr stets mit dem Fahrrad zur Oper, was seinem Publikum nicht verborgen blieb. Das war vor mehr als 100 Jahren. Im Hamburger Mahlermuseum ist sein Fahrrad ausgestellt. Heute dagegen fällt Lutz-Werner Hesse auf der Nordbahntrasse unter den zahlreichen Fahrradfahrern nicht auf, wenn er -schönes Wetter vorausgesetzt - zu seiner Hochschule radelt.
 
Der Komponist und Hochschullehrer Lutz-Werner Hesse strahlt mit seinen Kompositionen weit in die Welt aus und seine Hochschule zieht internationale junge Musiker und Musikerinnen aus aller Welt an, die sich in Wuppertal mit der europäischen und deutschen Musik auseinandersetzen wollen. Welch wichtiger „Elfenbeinturm“ für die Stadt.


Lutz-Werner Hesse - Foto © Karl-Heinz Krauskopf 

Redaktion: Frank Becker