Ein TV-Meisterwerk

Tatort: „Niemals ohne mich“

von Frank Becker

Tatort: Niemals ohne mich, v.l.: Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär - Foto WDR Martin Valentin Menke

Ein TV-Meisterwerk
 
Tatort: „Niemals ohne mich“
 
Die „Tatort“-Reihe der ARD ist in den fünf Jahrzehnten ihres Bestehens für viele Menschen am Sonntagabend Standard, ja Pflicht geworden. Durch manchen Unfug, den die Macher der Serie aber auch im Lauf der Zeit angestellt haben, seien es völlig verunglückte Konzepte, untragbare Charaktere oder miserabel recherchierte Polizeiarbeit haben sich aber auch viele Zuschauer wieder ab- und lieber Kulturfilmen anderer öffentlich-rechtlicher Kanäle zugewandt.
 
Gut beraten waren aber jene, die am vergangenen Sonntag die neue Kölner Tatort-Folge eingeschaltet haben. Zu den erfolgreichsten und beliebtesten Teams der Tatort-Sonntagabende gehören dort die Ermittler Freddy Schenk (Dietmar Bär) und Max Ballauf (Klaus J. Behrendt), Antipoden aus dem Bilderbuch, letztlich aber auch zielstrebig und realistisch. Der am Sonntag vom WDR in die Reihe eingebrachte Film „Niemals ohne mich“ gehört zu den packendsten Kölner Folgen, wenn er nicht sogar die beste der 23 Jahre „Tatort Köln“ überhaupt ist, wirklichkeitsnah, bewegend, dramatisch.

Kurz der Plot: Eine Mitarbeiterin des Jugendamtes wird erschlagen aufgefunden, nicht weit entfernt von ihrer Wohnung. Die 38-jahrige Monika Fellner (Melanie Straub), die beinhart unterhaltssäumige Eltern beinahe wie zur eigenen Befriedigung unter Druck setzte, hatte sich nicht nur im Kreis der oft vor dem wirtschaftlichen und seelischen Zusammenbruch stehenden Menschen viele Feinde gemacht. Auch im Kollegenkreis und bei den Nachbarn war sie unbeliebt. Fellner stritt sogar mit ihrer Kollegin Ingrid Kugelmaier (Anna Böger), von der sie dieselbe Härte erwartete. Die jedoch drückte hin und wieder ein Auge zu. Bei ihren Ermittlungen treffen die Hauptkommissare Ballauf und Schenk auf getrennte Elternpaare, die oft nur um dem anderen zu schaden, rücksichtslos – auch ohne Rücksicht auf die involvierten Kinder – lügen, betrügen, gegeneinander intrigieren. Die Liebe von einst ist in Haß umgeschlagen. Andere betrügen das Gemeinwesen durch falsch angegebene Lebensverhältnisse. An Verdächtigen mangelt es also von Anfang an nicht, und einige weitere bringen sich durch ihr Verhalten und Vertuschen zusätzlich in Verdacht.

Anhand von sensibel gezeigten Familien- und Einzelschicksalen deutet Regisseurin Nina Wolfrum auf eine deprimierende Schattenseite unserer Gesellschaft. Da verläßt (nur einer der Fälle) z.B. Katja Hildebrandt (Katrin Röver) ihren Mann Rainer (Peter Schneider), um im Luxus mit seinem und ihrem Chef zusammenzuleben, kündigt aber zum Schein ihre Stelle, um ihn zu Unterhaltszahlungen zu zwingen, ihn in den Ruin zu treiben und ihm die gemeinsamen Kinder wegzunehmen. Es gelingt ihr. Peter Schneider liefert hier die hinreißende, ergreifende Charakterstudie eines unschuldig vor dem völligen Absturz stehenden Mannes, Katrin Röver gibt brillant die eiskalt zynische Opportunistin. Ein besonders Augenmerk war auf die beteiligten Kinder gerichtet, deren Angst, Hilflosigkeit, Zerrissenheit von den darstellenden Mädchen und Jungen ans Herz gehend vermittelt wurde. Man fragt sich allerdings, ob das Kindern vor der Kamera wirklich zugemutet werden kann.

Die von Peter Nix (Kamera) hervorragend gefilmte, bis in die Nebenrollen bestens besetzte Sozialstudie ließ den Kriminalfall beinahe in den Hintergrund treten. Man folgte dem Geschehen in dichter Atmosphäre mit echter Empathie, konnte erst spät ahnen, wer als der Täter/die Täterin entlarvt werden würde und wurde trotz des bedrückenden Themas anspruchsvoll und bestens unterhalten. Wenig humorvoll, eher nervend, ja störend ist die Figur des Kriminal-Assistenten Jütte (Roland Riebeling) angelegt. Jürgen Werner (Buch) hätte sich den sparen können. Wie gerne denkt man an die frühere Assistentin Franziska Lütgenjohann (Tessa Mittelstaedt) zurück…
Diesem „Tatort“ gebührt trotz Jütte und kleiner Schnitzer, auch wegen des verhaltenen Menschelns Ballaufs und der wirklich genialen Schlußpointe dieses aufwühlenden Films, unser Lob und Prädikat, der Musenkuß.