Es ist alles Chimäre…

„Ruf der Wildnis“ von Chris Sanders

von Renate Wagner

Ruf der Wildnis
(The Call of the Wild - USA 2020)

Regie: Chris Sanders
Mit: Harrison Ford, Omar Sy, Dan Stevens u.a.

Man möchte nicht in der Haut der Hollywood-Gewaltigen stecken, die haben wirklich Probleme (abgesehen davon, daß sie hoch dafür bezahlt werden). Wie sie’s machen, machen sie’s falsch. Da haben sie den „König der Löwen“ so total neu animiert, daß er „wie echt“ wirkt und einige Verwirrung auslöste. Dann haben sie in „Cats“ wiederum die Menschen nicht „Katzen“ sein lassen und den größten Hohn und Flop eingefahren, den man sich vorstellen kann. Als Disney nun wieder einmal den Tier-Klassiker „Wolfsblut“ von Jack London hernahm (die Novelle von 1903 erzählt die Geschichte des Schlittenhundes Buck aus seiner Perspektive), hätte man das in guter, alter Manier als totale Animation machen können (dann hätten die Tiere auch reden dürfen). Aber man wollte es „echter“ – echte Natur, echte Menschen und mit „CGI“ (Computer Generated Imagery) geschaffene Tiere dazu kopiert. Mittlerweile geht so etwas nahtlos.
Mehr noch: Man nahm einen Bewegungsexperten, Terry Notary, der seine Karriere als Artist des Cirque de Soleil begonnen hat, und ließ ihn den Hund Buck „spielen“ – Mimik und Bewegungen des Hundes, der dann „darüber gelegt“ wurde. Mit dem Effekt, daß Buck so „menschlich“ ist, daß man ihn keine Sekunde für „echt“ hält. Dieser Buck ist ein „Schauspieler“ wie es die gezeichneten Disney-Figuren der Frühzeit waren. Nur daß einem damals niemand vormachen wollte, daß sie echt sind. Die Mischung ist ungut, und Regisseur Chris Sanders (an sich eher ein Fachmann für Animation) muß hart arbeiten, um die Geschichte doch noch über die Runden zu bekommen.
 
Natürlich, was Jack London erzählt, ist großartig – Buck, halb Bernhardiner, halb Schäferhund, groß, stark, fröhlich, wächst in einem reichen Haushalt in Kalifornien auf. Hunde wie ihn braucht man als Schlittenhunde im hohen Norden, dort, wo im Yukon die Goldsucher zum Klondike-Fluß streben. Buck, der wieder einmal „schlimm“ war und zur Strafe vor dem Haus schlafen muß, wird gestohlen, weil man seinesgleichen teuer verkaufen kann – und von da an dreht einem die Brutalität der Menschen das Herz um. Natürlich, auch Jack London „vermenschlicht“ das Tier, wenn er zeigt, wie Buck lernt, sich der Gewalt zu fügen, aber solch eindrucksvolle Mimik, wie hier gezeigt, hat auch der ausdrucksstärkste Hund nicht… nein, man glaubt ihm einfach nicht.
Dramatisch, wie Buck als Schlittenhund (sein „Herrchen“ Perrault, gespielt von Omar Sy aus „Ziemlich beste Freunde“, mag Tiere und behandelt sie gut) lernen muß, sich im Rudel durchzusetzen, haarsträubend, wenn Mensch und Tier durch das Eis brechen und im eiskalten Wasser versinken (die Rettung ist nicht ohne Pointe), tragisch, wie Perrault, der die Post in die entlegendsten Lager bringt, seinen Job verliert (der Telegraph macht Briefe weniger nötig) und Buck wieder in die Hände eines klassischen, brutalen Bösewichts (Dan Stevens als Hal) gerät. Dramatisch, wie die armen Hunde bis zum Exzeß gequält werden…
 
Auftritt Harrison Ford als John Thornton, dem der Rest des Films gehört (und der auch als Erzähler aus dem Off fungiert). Man hat ihn schon davor gesehen, aber unter Massen von weißen Haaren und Riesenmütze anfangs gar nicht erkannt. Nun ist er wieder da, rettet Buck, dessen Bekanntschaft er schon früher gemacht hat, und gemeinsam ziehen Mann und Hund den Yukon hinauf, auf der Suche nach dem Sohn des Alten.
Die Natur, die schon immer stark mitgespielt hat, entfaltet sich in aller Schönheit, und was Harrison Ford in der Interaktion mit dem (für ihn ja nur imaginären) Hund leistet, ist erstaunlich und schön und erinnert daran, daß er nicht nur „Indiana Jones“, sondern auch ein großer Schauspieler war… und ja, die Geschichte funktioniert auch hier. Mensch und Tier finden sich im gleich großen, guten Herzen. Und gerührt sieht man Buck endlich in die Natur zu seinesgleichen eingehen, der Zivil-Hund wird zum Führer in der Wildnis.
Obwohl man leider nie vergißt: Es ist alles Chimäre, und es ist alles nicht wahr…
 
 
Renate Wagner