Neue Kalender braucht das Land

von Wendelin Haverkamp

© Jürgen Pankarz
Neue Kalender
braucht das Land
 
Ich hasse es, wenn man am Anfang des Jahres seinen neuen Kalender auf den sogenannten aktuellen Stand bringen muß. Der alte strotzt noch von unerledigten Notizen und Adressen, die man gerne los wäre, und schon liegt er da: Ein neuer, unausgefüllter Kalender.
Blendend weiß und unschuldig strahlt er mich an, man kann stundenlang in ihm blättern, ohne an bedrohliche Termine oder vergessene Hochzeitstage erinnert zu werden. Noch lachen die Feiertage in fröhlichem Rot aus der leeren Monatsübersicht, und besonders mag ich die kleingedruckten, allerliebsten Anmerkungen, die freie, klare Luft jenseits irgendeiner Verwendbarkeit atmen: „Schulfrei in Sachsen-Anhalt in Gebieten mit überwiegend griechisch-orthodoxer Bevölkerung“ oder: „Eingeschriebene Lexika bis 20 Gramm - außer Grönland“.
     Und diesen schönen, leeren Kalender muß man jetzt vollkrakeln mit den Geburtstagen unsympathischer Verwandter, mit Ferienterminen, aus denen sowieso nix wird, und das Schlimmste: Seit einigen Jahren kann man sich nicht mal mehr auf seinen Kalender verlassen.
Der „Buß- und Bettag“ zum Beispiel; fiel einfach weg! Ein ganzer Feiertag weniger. Andererseits der 3. Oktober: Plötzlich dräute da ein selbsternannter „Tag der deutschen Einheit“, als wäre das Datum durch den Namenstag Ewald nicht schon gestraft genug. Und von dem meteorologisch attraktiven 17. Juni redet auch schon keiner mehr - aus, vorbei, vergessen, und da stellt sich doch die Frage: Stimmt unser Kalender überhaupt noch? Müßte er nicht grundlegend reformiert werden? Meine Meinung: Unbedingt, es ist höchste Zeit. Allerdings kursieren nach wie vor völlig falsche Theorien darüber, wie unser jetziger Kalender überhaupt entstanden ist. Weiterhin wird hartnäckig angenommen, Astronomen hätten seit der Antike den Himmel beobachtet und daraus Gesetzmäßigkeiten abgeleitet. So sei Ostern zum Beispiel als der erste Sonntag nach dem Frühjahrs-Vollmond festgelegt worden; was aber völliger Unsinn ist.
     In Wirklichkeit wurde unser Kalendarium wesentlich von den Begleitumständen der alten kultischen Bräuche geprägt, einfacher ausgedrückt: Vom Saufen. Denn, was wenige wissen: Bereits der einschlägig bekannte Papst Gregor ließ in mehrjährigen Testreihen untersuchen, wie lange man nach Karneval nüchtern bleiben muß, bis man wieder so fit ist, daß man a) seine Eier verstecken und b) sie wiederfinden kann.
     Das hat sich im Laufe der Jahrhunderte bei etwa 6-7 Wochen eingependelt und ist als sogenannte Fastenzeit so spannend kann Geschichte sein - in den Kalender eingegangen. Was nun würde es bedeuten, wenn man, auch mit Rücksicht auf die durch Klimawechsel zunehmend schweren Erfrierungen nebenberuflicher Tanzmariechen, den Rosenmontag um vier Monate auf den 21. Juni verschöbe? Nun, hier darf man überrascht sein: Es würde bedeuten, daß er wegfällt, weil ihn keiner vermißt.
     Und mit den anderen Festen sähe es auch nicht übel aus. Bei unserem Modell käme Weihnachten auf den 25. April zu liegen - merkt doch kein Mensch, wenn am 25. April keine Bescherung stattfindet. Was hieße: Zwei volle, satte Feiertage könnten eingespart, die Leistungen der Pflegeversicherung verdoppelt und die Beiträge zur Rente halbiert werden, ohne daß niemand einen Urlaubstag hergeben muß - ein kleiner Beitrag zum sozialen Frieden.
Darüber hinaus könnte mancher Feiertag in seiner schwammigen Existenz eine neue und frische Sinngebung erfahren: Der Tag der deutschen Einheit zum Beispiel fiele auf den 3. Februar - Sankt Blasius! Gar nicht mal so gut, das würde den Erwartungen auch der schärfsten Optimisten gerecht.
     Und wo wir schon mal dabei sind, sollten wir nicht auf halbem Wege stehen bleiben und auch den Tageszeiten-Ablauf reformieren. Neue Forschungen haben nämlich ergeben, daß die Schwerkraft am frühen Morgen wesentlich stärker ist als am frühen Nachmittag, sich dann am frühen Abend langsam fängt und erst über Nacht wieder zunimmt. Bereits eine Verschiebung um lediglich 6 Stunden hätte hier durchschlagenden Erfolg und würde dem bereits stark irritierten Biorhythmus des modernen Menschen schwer entgegenkommen.
     Die Durchführung einer solchen Zeitverschiebung Wäre im übrigen völlig unproblematisch, indem wir sechsmal hintereinander die Winterzeit einführen, ohne die Sommerzeit weiter zu berücksichtigen. Eine neue Zeitrechnung bräche über uns herein, und es wäre jetzt im Moment zum Beispiel ziemlich genau, Moment: Oha! Sie entschuldigen mich bitte, aber ich stehe erst in 2 Stunden auf.
 
 
Aus dem Buch „Parmesanides“, Aachen 2003
Die Illustration stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.