Beikirchers Beethoven (2)

Konrad Beikircher – „Der Ludwig - jetzt mal so gesehen“

von Konrad Beikircher/Bec.

Ludwig van Beethoven – alle kennen ihn und viele kennen seine Werke. Aber wie hat er gelebt? Dank Konrad Beikirchers tiefem Humor, seiner glänzenden Sachkenntnis und seiner daraus gewachsenen etwas anderen Beethoven-Biographie erfahren wir gewohnt kurzweilig nun alles über das Werden des berühmten Bonners, den Alltag des Rheinländers im Wiener Exil, seinen Geschäftsgeist, seine Erfolge und Gewohnheiten.
In zwei Teilen präsentieren wir das Vorwort zu einer Doppel-CD, gelesen von Konrad Beikircher – und zu dem Buch gleichen Titels.
 
Der Ludwig – jetzt mal so gesehen (Teil 2)
 
Alles in allem war er ein toller Hecht, unser Ludwig und wert,
daß wir ihn zu seinem 200. Geburtstag gebührend feiern.
 
Ja, ja, es ist in den letzten zehn Jahren besser geworden. Aber Bonn geht mit Beethoven immer noch um wie mit einem, der vergessen hat, sich beim Einwohnermeldeamt abzumelden: ist zwar hier gemeldet, aber lebt doch eigentlich in Wien, also sollen die doch gucken. Daran sind allerdings nicht die Bonner allein schuld. Es liegt auch an Anton Schindler, dem langjährigen »persönlichen Referenten« Beethovens (bis zu seinem Tod und - selbsternannt - weit darüber hinaus!) und großen Biographie-Verzerrer. Und es liegt am 19. Jahrhundert mit seiner monumentalen Denkmal-Verehrung der »deutschen« Größen - ich sage nur »Deutsches Eck«, Porta Westfalica, Arminius, Niederwald, Walhalla et cetera et cetera. Kurz: Die Philosophie des »Am-deutschen-Wesen-soll-die-Welt-genesen« hat niemandem gutgetan, am wenigsten den Künstlern.
     Heinrich Heine beschreibt übrigens Herrn Schindler so:
„Minder schauerlich als die Beethovensche Musik war für mich der Freund Beethovens, l´ami de Beethoven, wie er sich hier überall produzierte, ich glaube sogar auf Visitenkarten. Eine schwarze Hopfenstange mit einer entsetzlich weißen Krawatte und einer Leichenbittermiene. War dieser Freund Beethovens wirklich dessen Pylades? Oder gehörte er zu jenen gleichgültigen Bekannten, mit denen ein genialer Mensch zuweilen um so lieber Umgang pflegt, je unbedeutender sie sind und je prosaischer ihr Geplapper ist, das ihm eine Erholung gewährt nach ermüdend poetischen Geistesflügen? Jedenfalls sahen wir hier eine neue Art der Ausbeutung des Genius, und die kleinen Blätter spöttelten nicht wenig über den ami de Beethoven. »Wie konnte der große Künstler einen so unerquicklichen, geistesarmen Freund ertragen!« riefen die Franzosen, die über das monotone Geschwätz jenes langweiligen Gastes alle Geduld verloren. Sie dachten nicht daran, daß Beethoven taub war.“ Die beiden (Schindler und das 19. Jahrhundert) haben aus Beethoven jedenfalls einen derartigen Superman gemacht, daß für den normalen »man« kein Platz mehr blieb und bis heute die Bonner wenig Lust verspüren, so ein titanisches Überwesen als einen der ihren anzusehen: Beethoven als der um jeden Ton Ringende, von seinem Genie gepeitscht, von seinem Künstlerbewußtsein gezwungen, nur das Erhabene und Wahre zu leben, die Fackel der Menschheit unter größten Qualen in der Hand haltend. Man muß nur Ewald Baiser im Film »Eroica« von 1949 als Beethoven sehen, um zu verstehen: So kann es nicht wirklich gewesen sein.
     Und so war es auch nicht. Es war ziemlich anders: Unser Ludwig war ein mit allen Wassern des damaligen Showbiz gewaschener Tastenlöwe; er pflegte sein Image als bärbeißiger Frauenheld durch betont unkonventionelles Verhalten; im Geschäftsleben war er ein durchtriebenes Schlitzohr, dem (fast) jedes Mittel recht war; er hatte den typisch rheinischen Blick fürs Reale und entsprechenden Humor - und er war natürlich Alkoholiker, aber hallo! Vater Johann besaß eine Weinhandlung, er starb quasi im Delirium; Ludwigs Oma war so jot dabei, daß sie nach Köln in ein Heim eingeliefert wurde (für damals heißt das wirklich was!), und Ludwig selbst trank in seiner Wiener Zeit (also immerhin fast dreißig Jahre lang) pro Tag im Schnitt zwei Flaschen Weiß- und eine Flasche Rotwein. Er hatte halt nicht die Ausgeglichenheit eines Giuseppe Verdi - ebenfalls Sohn eines Weinhändlers.
Wenn Freunde da waren, kam schon mal die eine oder andere Flasche Schaumwein dazu. Am Alkohol starb er ja letztlich auch. Und am Blei, mit dem man damals noch den Wein »haltbar« gemacht hat. Schindler hat jedenfalls das halbe Leben Beethovens verbiegen müssen, um den Eindruck eines »Trunkenbolds« erst gar nicht entstehen zu lassen.
     Außerdem: Beethoven eroberte Wien zunächst eher als Pianist denn als Komponist. Da ließ er nichts aus, was »imageförderlich« sein konnte. Graf Fries veranstaltete zum Beispiel ein Duell zwischen Daniel Steibelt, einem der größten Klaviervirtuosen seiner Zeit, und Beethoven. Man haut sich einander die Arpeggi um die Ohren, Ludwig ist schon kurz davor, den Lorbeer zu erringen, da setzt er noch einen drauf: Er schnappt sich ein Notenblatt von Steibelt, dreht es - so, daß es alle sehen konnten - auf den Kopf und improvisiert aus den auf den Kopf gestellten Noten aus dem Kopf Variationen, die Steibelt mit roten Ohren aus dem Saal und aus Wien (das er nachts fluchtartig verließ) fegten. Beethoven hat also nicht nur gegen ihn gewonnen, er hat ihn fertiggemacht. Und ganz Wien sprach davon.
     Und die Frauen? Beethoven hatte zwar nie eine Ehefrau, aber Affären genug, auch wenn sie nie lange hielten. Freund Breuning wundert sich in seinem Tagebuch darüber, daß Beethoven, obwohl meistens unrasiert, ungepflegt und im Zimmer herumspuckend, sehr viel Glück bei den Frauen gehabt habe. Aber das kennt man ja: Klavier spielen, komponieren, etwas ungepflegt auftreten und das alles mit einem machomäßig pockennarbigen Gesicht, dem auch etwas Animalisches anhaftet - da sind sie fertig, die Frauen. Aber man kennt auch, daß das nie lange hält. Also war er bei all seinem Erfolg einsam und trauerte der nie Erreichbaren hinterher, wie sein Brief an die unsterbliche Geliebte zeigt.
     Geschäftlich clever war er auch, eben ein richtig rheinisches Schlitzohr. Aber das mußte man damals wohl sein, es gab ja noch keine GEMA. Er verkaufte seine Kompositionen gleich mehreren Verlegern gleichzeitig (ab und zu jedenfalls) und wunderte sich über deren Zorn, er ließ gleichsam Extra-Ausgaben verfassen, die er für 50 Gold-Dukaten verkaufte, und er holte mit persönlichen Widmungen seiner Werke noch mal Kohle raus. Und wenn all das nicht reichte, bot er das ein oder andere Werk auch noch zur Subskription an. Mehrfachvermarkter also und damit seiner Zeit - möchte ich sagen - geschäftlich weit voraus. Und er hatte Humor, und zwar rheinisch-bissigen.
 
     Alles in allem war er also ein toller Hecht, unser Ludwig, und wert, daß wir ihn zu seinem 200. Geburtstag gebührend feiern.
Dabei werde ich Sie nicht mit Musiktheorie et cetera erschlagen oder gar mit hochgelehrten Einordnungen seiner Meisterwerke, sondern ich werde versuchen, ihnen seinen Alltag zu schildern und dabei ein paar Mißverständnisse auszuräumen, die sich im Laufe der Jahrhunderte eingeschlichen haben.
     Zum Beispiel, daß er ein armer Hund gewesen sei, der in rheinischer Isoliertheit in Wien sozial vor sich hin habe darben müssen, nach dem Motto: nur Donau, kein Rhein - nirgends! Nee, nee, unser Ludwig hat in Wien eine sehr lebendige rheinische Entourage um sich gehabt und hat sie beileibe nicht dauernd aufgesucht, er hat sie auch oft genug vor den Kopf gestoßen.
     Oder mit der Vorstellung, daß er einsam gewesen sei, ja, die Einsamkeit geradezu gesucht habe, wie René Descartes, der jahrzehntelang vor den Leuten floh, um in Ruhe nachdenken und schreiben zu können, weil er die Wissenschaft neu erfinden wollte. Nein, unser Ludwig war ein Familientier und hat sich um seinen Neffen Karl wie um seinen eigenen Augapfel gekümmert (Ohr ging ja nicht, er war ja schon taub!). Leider hat er sich dabei zum Helikopter-Onkel entwickelt, was der Neffe gar nicht abkonnte.
     Ich möchte ihnen den geselligen Griesgram, den weltfernen Finanzjongleur, den hoffnungslos erfolglosen Casanova schildern, der am liebsten glücklich verheiratete Ehefrauen anbaggerte, und zwar mit geschlossener Hose, sich nächtens aber mit offener Hose von Freunden Escort-Service-Maderln ins Haus liefern ließ. Ich werde ihnen vom Mietnomaden Ludwig erzählen, von seinen grauenvollen Kochkünsten, werde ihnen erzählen, was und wie viel er getrunken hat und wie es überhaupt mit seiner Gesundheit aussah, kurz: Der Ludwig - jetzt mal so gesehen. Er soll vor uns dastehen wie ein Mensch, der zwar zu den ganz Großen der Menschheit gehört, der aber gleichzeitig ein völlig normaler Typ war, dem man amüsiert beim Leben zugucken kann. Er war weder der gebrochene Titan noch der verzweifelte Ringer mit dem Schicksal, eher Ludwig, der laute, polternde Mieter in der zweiten Etage, unter dem keiner wohnen wollte, noch nicht mal die Nachwelt.
 
Konrad Beikircher – „Der Ludwig - jetzt mal so gesehen“
© 2019 WortArt, Hörbuch (2 CD)
CD 1
01-11: Beethovens Leben im Rheinland-und wie trotzdem was aus ihm geworden ist
12-15: Die Ausbildung und der Sprung nach Wien
16-17: Beethoven und das liebe Geld
Zeit:  1:15:05
CD 2
01-04: Fortsetzung: Beethoven und das liebe Geld
05-07: Beethoven zu Tisch
08-09: Der Mietnomade
10-15: Ludwig und die Frauen
Zeit:  1:17:33
Gesamtzeit: 2:32:38
Weitere Informationen: www.wortart.de
 
Das Buch gleichen Titels ist im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen.
© 2019 Kiepenheur & Witsch, 288 Seiten, Broschur – ISBN: 978-3-462-05273-2
16,- €
Weitere Informationen:  www.kiwi-verlag.de