Anna von Kleve - Eine Bergische Tochter auf dem englischen Thron

Ein Transfergespräch mit dem Historiker Dr. Georg Eckert

von Uwe Blass

Dr. Georg Eckert - Foto: Uniservice Transfer
Wissenschaftliche Forschung und Entwicklung, der Erkenntnisgewinn und das neu generierte Wissen sind kein Selbstzweck, sondern dienen der Weiterentwicklung unserer Gesellschaft. Eine zentrale Bedeutung hat dabei der Transfer der Ergebnisse in die Öffentlichkeit, Wirtschaft, Politik und sozialen Institutionen. Mit den „Bergischen Transfergeschichten“ zeigt die Bergische Universität beispielhaft, wie sich Forscherinnen und Forscher mit ihrer Arbeit in die Region einbringen, mit anderen Partnern vernetzen und die Gesellschaft so aktiv mitgestalten.

Eine Bergische Tochter
auf dem englischen Thron

Die erste deutsche Königin Englands lebte auf Schloß Burg
 

Ein Transfergespräch mit dem Historiker Dr. Georg Eckert
 
Im Spätherbst 1539 machten sich 263 Personen und 228 Pferde von Düsseldorf aus auf den Weg ins ferne England, um König Heinrich VIII. seine vierte Frau zu überbringen: Anna von Kleve. Hierzulande fast vergessen, zeichnet die Herzogin von Jülich-Kleve-Berg eine Eigenschaft besonders aus. Sie war die erste Königin auf dem englischen Thron, die aus dem heutigen Deutschland stammte – und bis heute die einzige aus dem Bergischen Land. Dr. Georg Eckert, Historiker in der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften der Bergischen Universität, kennt ihre Geschichte und vor allem die Umstände, die die Bergische Tochter auf die Insel führten.
 
Kindheit und Jugend auf Schloß Burg

Viel ist über die Herzogin nicht überliefert. Aber „wir wissen, sie war für ein halbes Jahr englische Königin, wir wissen, sie war die zweitälteste Tochter eines im Reich und in ganz Europa wichtigen Akteurs, Johanns III., Herzog von Jülich-Kleve-Berg. Die Herzöge von Jülich-Kleve-Berg hatten eine konfessionelle und politische Schlüsselposition im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation“, erklärt Eckert und fährt fort, „das Herzogtum rahmte das katholische Erzbistum Köln und grenzte an die reformierten späteren Niederlande. Und es lag am Rhein, also entlang eines strategisch wie ökonomisch zentralen Stromes.“ Anna teile das Problem einer spärlichen Quellenlage mit vielen Herrschergattinnen, erklärt der gebürtige Württemberger; seiner Ansicht nach sind die wenigen erhaltenen Zeugnisse mit Vorsicht zu genießen, da sie aus innenpolitischen Auseinandersetzungen in England stammen oder von zweckgebundenen ausländischen Wahrnehmungen geprägt seien. „Immerhin sind sich alle darin einig, daß sie eine freundliche und zugewandte Person gewesen ist, die sich um ihre Bediensteten offenkundig gut gekümmert hat.“
 
Dynastische Heiratspolitik – Herzogtum spielt in Champions League
 
Aber von vorn: Geboren 1517 in Düsseldorf, verbrachte Anna von Kleve große Teile ihrer Kindheit und Jugend auf Schloß Burg in Solingen. Unter der Obhut ihrer Mutter, Maria von Berg, genoss sie eine eher konventionelle Erziehung, in die noch kaum Ideale der Renaissance eingeflossen waren; Sprachen, die Bildenden Künste oder Musik spielten dabei kaum eine Rolle, auch höfischer Tanz nicht. Umso erklärungsbedürftiger, warum ein so kunstsinniger und weltgewandter Monarch wie Heinrich VIII. sein Interesse an Anna anmeldete: „Da spielt die Herkunft wieder eine entscheidende Rolle“, klärt Eckert auf, „wir bewegen uns in der dynastischen Heiratspolitik. Politische Bündnisse wurden durch Heiraten zwischen großen europäischen Adelsfamilien arrangiert und bekräftigt. Das sieht man bei Anna von Kleve ganz gut“. Die Heiratspläne zeigten die enorme Bedeutung des damaligen Herzogtums Jülich-Kleve-Berg: „Eigentlich war Anna von Kleve bereits im Kindesalter dem französischen Herzog Franz I. von Lothringen versprochen. Ihre ältere Schwester Sibylle war mit dem Kurfürsten Johann Friedrich I. von Sachsen verheiratet. Das ist gewissermaßen Champions League in den Heiratsverbindungen“, sagt Eckert, der als Privatdozent Neuere Geschichte lehrt. „Heinrich VIII. brauchte damals starke Verbündete, aber das war nach der Hinrichtung seiner zweiten Frau, Anne Boleyn, einigermaßen problematisch. Der dänischen Prinzessin Christina, auf die er zunächst blickte, wird das Bonmot zugeschrieben, `sie besäße nur einen Kopf. Hätte sie derer zwei, stünde einer davon zu Heinrichs Verfügung´.“ Der englische König suchte nach mächtigen Bündnispartnern, um sich gegen die gerade entstehende Allianz zwischen dem König von Frankreich und den Habsburgern zu behaupten, die nach der Annullierung der Ehe mit Katharina von Aragon ohnehin schlecht auf Heinrich zu sprechen waren – während Annas älterer Bruder, Herzog Wilhelm V., seinerseits das soeben ererbte Herzogtum Geldern gegen Kaiser Karl V. behaupten wollte. Hier überschnitten sich die Interessen, „zumal beide Dynastien auch konfessionell gebunden waren, indem sie sich gerade nicht gebunden hatten“, so Eckert: „Wir sind schließlich mitten im Zeitalter der Reformation“. Eine katholische Hochzeit war kaum denkbar; Heinrich VIII. hatte sich mit der Anglikanischen Kirche von der Kurie losgesagt, er war 1538 zudem exkommuniziert worden. Mit seiner einstigen Polemik gegen Martin Luther hatte er jedoch auch dessen Anhänger gegen sich aufgebracht.  „Der Kreis europäischer Hochadelsdamen, die als Gattinnen denkbar waren, war also einigermaßen eng. Aber Jülich-Kleve-Berg paßte nahezu perfekt, die dortigen Herzöge fuhren einen Mittelkurs zwischen den Extremen: nicht strikt gegen den Papst, aber eben auch nicht für die Reformatoren“, erklärt Eckert.
 
Das berühmte Bild Annas hängt im Louvre
 
Der König ließ seinen Hofmaler Hans Holbein den Jüngeren nach Düren reisen, um die Herzogstöchter Anna und Amalia zu

Hans Holbein, Anna von Kleve 1539
portraitieren, beide potentielle Ehepartnerinnen. Das Gemälde Annas, aufgrund dessen er sich für sie entschied, ist heute im Pariser Louvre zu bewundern. Doch scheinbar hatte der Maler Annas Antlitz zu schmeichelhaft dargestellt. Vor allem aber dürften fehlende Kenntnisse der Herzogin über Rituale des Tudorhofs zu einer zeremoniellen Panne geführt haben. „Heinrich war ein Renaissancemensch, der mit raffinierten Inszenierungen arbeitete“, erzählt Eckert, „Er hat sich Anna nur verkleidet genähert. Er wußte, wen er umtänzelte – sie aber nicht. Vermutlich hat er eine andere Reaktion erwartet. Man muß sich die Szene wie eine kleine Theateraufführung vorstellen, deren Text alle Beteiligten kannten: nur eben Anna nicht“, die ihren künftigen Gatten wohl gar nicht identifizieren konnte und ihm nach der Übergabe seines Geschenks den Rücken zuwandte. Der König soll davon entsetzt gewesen sein, daß Anna längst nicht so schön war wie auf Holbeins Porträt, und zog sich zurück, um sogleich die Eheschließung aufzuschieben. Dieses Hadern dürfe man sich aber keinesfalls nur als männliche Laune vorstellen, gibt der Wissenschaftler zu bedenken: „Heinrich war schon Machtpolitiker genug, um zu wissen, daß man hochpolitische Vermählungsfragen nicht allein mit Blick auf hübsche Gesichter beantworten konnte. Auch seine folgende Abwendung von der künftigen Gattin dürfte eine Inszenierung gewesen sein. Zu deren Adressaten gehörten manche Engländer, die lieber erneut eine Engländerin als Königin gesehen hätte wie Annas hingerichtete Vorgängerin, gewiß aber auch das Ausland. Frei nach dem Prinzip `schaut mal, was ich so alles machen und mir erlauben kann´.“
 
Englische Königin für ein halbes Jahr

Aber ein totaler Rückzug wäre politisch unklug, wenn nicht unmöglich gewesen. Also wurde die Ehe schließlich am 6. Januar 1540 in Greenwich geschlossen… und hielt ein halbes Jahr, nicht länger: Unterdessen waren wesentliche Ausgangsbedingungen der Ehe hinfällig geworden. Die bedrohliche Allianz zwischen dem habsburgischen Kaiser und dem König von Frankreich war geplatzt, in England hatten sich die Gewichte zuungunsten Annas verschoben – Thomas Cromwell, Mastermind der Eheschließung, wurde geköpft. Was passierte nun mit der ersten deutschen Königin auf dem englischen Thron? „Das Wichtigste zuerst: Sie wurde nicht hingerichtet“, schmunzelt Eckert, der freilich auf die Erkenntnisse der Forschung hinweist: „Heinrich VIII. hat seine Gattinnen nicht seriell hingerichtet. Für die Exekution Anne Boleyns und Catherine Howards hatte er seine relativ zwingenden politischen Gründe; obendrein waren sie Engländerinnen, bei denen keine internationalen Verwicklungen drohten. Nach einvernehmlicher Annullierung der Ehe hat Heinrich deshalb Anna sehr gut ausgestattet, um die Verbindung zu Jülich-Kleve-Berg zu halten. Außerdem hatte ein Ehevertrag bestimmt, was ihr zustand. Diese gütliche Lösung signalisierte weiteren potentiellen Gattinnen. `Vor mir muß man keine Angst haben´. Heinrich wollte nach wie vor seine Dynastie absichern, durch weitere männliche Erben“, sagt Eckert.
 
Beloved sister spielt ihre Rolle gut

Anna zog sich auf ihren Landsitz zurück, blieb aber am Tudorhof hochgeachtet. „Bei der Krönung von Mary Tudor hat sie gemeinsam mit Elisabeth I. eine hervorgehobene Rolle gespielt: für alle sichtbar, und sie war ja als Heinrichs `beloved sister´ in eine sehr ehrenvolle Stellung gebracht.“ Anne of Cleves, wie sie in England genannt wurde, starb eines natürlichen Todes, und das lag Eckert zufolge auch an ihrem wohlüberlegten Verhalten. „Sie hat geschickt agiert, indem sie sich in unüberschaubare Intrigen der englischen Politik gerade nicht einmischte, und so auch die kritischen Herrschaftswechsel ganz gut überstanden, erst zu König Edward VI., dann zu Mary Tudor. Sie war klug genug, keine kompromittierenden Schriftstücke zu hinterlassen, die gegen sie hätten ausgenutzt werden können. Die Rolle, in der sie nun stand, hat sie gut gespielt.“ Einfluß auf die Erziehung der späteren Königin Elisabeth I. hatte sie freilich nicht: „Was am englischen Hof gewünscht und schick war, das beherrschte Anna von Kleve einfach nicht: weder zeitgenössische Fremdsprachen noch die klassischen noch Musik und Tanz: alles Elemente, die für das Hofleben der Tudors ganz charakteristisch waren.“
 
Grab in Westminster Abbey
 
Als einzige Person aus dem Bergischen Land ruht sie bis heute in Westminster Abbey, der englischen Königskirche, in der die meisten englischen Herrscher bestattet sind; das Anne-of-Cleves-House nahe Lewes in der Grafschaft East Sussex zeigt Mobiliar und Ausstattung der Zeit. „In Großbritannien ist die Erinnerung an diese Frau präsent. Überall da, wo Heinrich und seine sechs Frauen vorkommen, da denkt man eben auch sofort an Anna von Kleve. So hat sich der Name im kulturellen Gedächtnis gehalten.“
Übrigens: Der Hofmaler Hans Holbein der Jüngere durfte nie wieder ein Mitglied der königlichen Familie malen.
 
Uwe Blass
 
Dr. Georg Eckert studierte Geschichte und Philosophie in Tübingen, wo er mit einer Studie über die Frühaufklärung um 1700 mit britischem Schwerpunkt promoviert wurde, und habilitierte sich in Wuppertal. 2009 begann er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Geschichte und lehrt heute als Privatdozent in der Neueren Geschichte.