Zu neuen Ufern...

Wuppertal: An Kuohn gibt die Leander in Peter Lunds "Zarah 47 – Das totale Lied"

von Frank Becker

Versatzstücke eines Lebens


 An Kuohn gibt die Leander in Peter Lunds 
"Zarah 47 – Das totale Lied"



Inszenierung:
Edda Klepp  -  Musik und am Flügel: Stefan Leibold  -  Bühnenbild: Susanne Kudielka  -  Kostüm: Svenja Göttler  -  Dramaturgie: Alexandra Jacob  -  Inspizienz: Ellen Uta Merkert  -  Regieassistenz: Saskia-Katrin Holte  -  Fotos: Michael Hörnschemeyer


Eine tragische Figur


Sie war eine wunderschöne Frau, ein schimmernder Ufa-Star und eine der letzten Diven der großen Zeit des deutschen Tonfilms. Der bocksfüßige Propagandaminister Hitlers blitzte bei ihr ab, die

 
Allein...bin ich in der Nacht
Männerwelt lag ihr zu Füßen, die deutschen Soldaten des verfluchten Weltkriegs klammerten sich an ihre Lieder "Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn" und "Davon geht die Welt nicht unter", die sie im Auftrag des braunen Reichs im "Wunschkonzert für die Wehrmacht" an die Front schickte. Zarah Leander (1907-1981) war berückende Femme fatale, mutige Moralistin, tragische Figur, Werkzeug politischer Mächte und doch unabhängig genug, 1943 Deutschland den Rücken zu kehren, als sich das politische Blatt und das Kriegsglück wendete.

Zarah Leander war Opportunistin, kalkulierende Geschäftsfrau und behauptete von sich selbst, eine politische Idiotin gewesen zu sein. Das war sie gewiß nicht. Sie war bedenkenlos. Das warf ihr Schweden nach ihrer Rückkehr auf ihr Gut Lönö beinahe für den Rest ihres Lebens vor. Sie war nur noch ein Schatten dessen, was die bis 1936 auch in Schweden gefeierte Schauspielerin und Sängerin gewonnen, schließlich durch falsches Kalkül und durch die Verachtung ihrer Landsleute verloren hatte. Wer mit dem Teufel aus einer Schüssel essen möchte, muß einen langen Löffel haben, heißt es. Ihr Löffel war nicht lang genug.


Keine Zarah Leander-Revue


Der 1965 nachgeborene Peter Lund hat aus Aufzeichnungen der Leander – ganz offenbar hat er ihre 1973 auch in Deutschland erschienene Autobiographie "Es war so wunderbar!" sehr genau

 
Zwischen Wodka und W 48
gelesen – und aus einigen ihrer erfolgreichsten Musiktitel ein Solo für eine Darstellerin zusammengestellt, das in Wuppertal mit der vielseitigen An Kuohn unter der Regie von Edda Klepp hervorragend besetzt wurde. Stefan Leibold begleitet am Klavier. Das Bild des Publikums von einst hat sich stark geändert. Schmachteten zu ihren Glanzzeiten Männer aller Alterklassen die sinnliche wohlproportionierte Diva an, gingen vor ihrer rauchigen Altstimme in die Knie und vergingen unter ihrem Schlafzimmerblick, sind es heute überwiegend Damen, die in eine Theatervorstellung unter dem Stichwort "Leander" strömen. Die Tiefe ihrer Seele und nicht mehr die ihres Dekolletés zählt.

In dieses Stück allerdings geht vergebens, wer eine Leander-Revue mit eleganten Roben, Salon-Ausstattung und Club-Atmosphäre erwartet. Hier wird Zarah abgeschminkt. Und An Kuohn ist klug genug, in der Rückblende, die hier inszeniert wird, gar nicht erst eine Leander-Kopie zu versuchen. Das könnte man nicht, wie ungezählte mißlungene Versuche von Epigoninnen und Travestien (daß sie einst zu einer Ikone der Homosexuellen beider Geschlechter werden würde, hätte sie sich nicht träumen lassen) nur allzu deutlich gezeigt haben. Das Original wäre in Timbre, Augenaufschlag und lasziv souveräner Schönheit ohnehin nicht zu erreichen.


Einfühlsames Psychogramm


Nein, An Kuohn interpretiert einfühlsam ein Leben, zu dem nun mal untrennbar eine Gassenhauer-


Merci, mon ami...
Parade aus "Der Wind hat mir ein Lied erzählt", "Nur nicht aus Liebe weinen", "Eine Frau wird erst schön durch die Liebe", "Kann denn Liebe Sünde sein?" und anderen gehört. Sie zeichnet vor einer Kulisse aus auf Pappkartons reduzierter Film- und Schlagergeschichte das dramatische musikalische Psychogramm einer Frau, die wußte was sie wollte und verlor, was ihr wichtig war. Wie eine aufgezogene Coppelia agiert sie maschinenpuppenhaft bei "Davon geht die Welt nicht unter", läßt die Melancholie des der Leander auf die Seele geschriebenen "Ich steh im Regen" tropfen, dann wieder zwischen Wodka und stummem Telefon in der quälenden schwedischen Isolation Galgenhumor und Lebensmut aufblitzen.

Bei ihrem 40. Geburtstag `47 hatte eine der schönsten, attraktivsten, begabtesten Künstlerinnen Schwedens den Zenit bereits überschritten. Alle später noch folgenden Engagements, Gastspiele und Rosensträuße waren liebenswerte Versuche alter Freunde. Es war vorbei. Die Lieder der Zarah Leander singt man heute noch inbrünstig, ihr Leben, ihr tragisches Künstler-Schicksal nimmt kaum jemand näher zur Kenntnis. An Kuohn hat in Peter Lunds kleinem Stück mit viel Fingerspitzengefühl ein wenig mehr von der großen Zarah Leander vermittelt.


Die letzte Vorstellung heute vor der Sommerpause ist ausverkauft.
Das Stück wird in die neue Spielzeit übernommen.
Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de