Die ganze Welt ist Bühne!

„Shakespeares Sämtliche Werke (leicht gekürzt)“

von Frank Becker

Thomas Braus (o.), Glenn Goltz (u.) - Foto © Jürgen Diemer
Die ganze Welt ist Bühne!
 
„Shakespeares Sämtliche Werke (leicht gekürzt)“
 
Ein Geniestreich ist das quicklebendige Stück von Adam Long, Daniel Singer und Jess Winfield, das wahr macht, wovon alle gequälten Literatur-Schüler und Shakespeare-Komödien-Geschädigten, Schauspieler eingeschlossen, träumen: Den ganzen Shakespeare in zweieinhalb Stunden „abzufackeln“ und dabei auch noch Spaß zu haben. Ein Schabernack erster Güte ist es, und die Wuppertaler Inszenierung von Robin Telfer mit den Kostümen von Monika Seidl und der griffigen Dramaturgie von Wilfried Harlandt brannte von der ersten bis zur letzten von Publikum und Darstellern genüsslich ausgekosteten Minute (man hätte keine einzige missen mögen) ein Brillantfeuerwerk an Pointen und (schau)spielerischen Höchstleistungen ab.

       Drei Personen haben einen Autor gefunden, drei Schauspieler, die von der Leine gelassen voller Übermut durch das Werk des Theater-Propheten, des Bühnen-Gottes William Shakespeare kabolzen, parodieren, konterkarieren und – als Komödianten wie als Charakterdarsteller brillieren. Solch einen intelligenten Jux, wie er auf der nahezu leeren Bühne des Wuppertaler Schauspiels vor rotem Vorhang und unter kritischem Blick des Meisters selbst mit überschäumendem Humor von Thomas Braus (Kaspar), This Maag (Melchior) und Glenn Goltz (Balthasar) in unglaublicher Virtuosität geboten wurde, wünscht man sich als Abschluss eines Jahres – und als Start in ein neues.
       Ob Othello-Rap (mit Gast Sascha Icks), geniale Fluxus-Fassung von „Troilus und Cressida“ , sämtliche Königsdramen als Fußball-Reportage, die aberwitzige Tragödie „Titus Andronicus“ als das komischste Gemetzel seit Clemens Wilmenrod oder die unter dem Motto „Warum haben sie 16 Komödien geschrieben, wo eine gereicht hätte, Herr Shakespeare?“ zu einem zum Brüllen komischen Gesamttext zusammengefassten besagten Komödien, es ist ein Hochgenuss in der Tradition von „Kentucky Fried Chicken“, zugleich eine Herausforderung an die drei Schauspieler, die diesen ambitionierten Theaterspaß mit Tiefgang über die Bretter bringen, die die Welt bedeuten. Braus, Maag und Goltz tun das scheinbar schwerelos, beherrschen jede Facette des schweren Spiels und reißen zu tränentreibenden Lachsalven hin. Wenn This Maag die Ziehharmonika verlegen als Weltgerichtsposaunen einsetzt, Goltz zuckersüß Frauenrollen lispelt oder Braus Mal um Mal (wie die beiden anderen auch) mit dem Running Gag „Eine kalte matte Schauder durch meine Adern...“ urkomisch ins Gras beißt, ist kein Halten mehr.


v.l.: Thomas Braus, This Maag  - Foto © Jürgen Diemer

       Szenenapplaus vom fast ausverkauften Haus begleitete am Premierenabend die sprühende und zu 100% gelungene Aufführung dieser in Perfektion präsentierten Kunst des höheren Blödsinns von „Romeo und Julia“ zu Beginn über einen gespickten „Julius Cäsar“ und „Antonius und Kleopatra“ (mit Schlange) bis zum freudianisch aufgedröselten Hamlet mit Publikumsbeteiligung als Ophelias Ich, Es und Über-Ich am Schluß. Wer da noch Trübsal blies, dem mochte man zurufen: „Drei Pfund Schminke ins Gesicht!“ oder „Geh´ in ein Kloster!“.
 
Frank Becker, 31.12.01