Ein Meisterwerk

„1917“ von Sam Mendes

von Renate Wagner
1917


Drehbuch und Regie: Sam Mendes
Mit: Dean-Charles Chapman, George MacKay, Colin Firth, Benedict Cumberbatch, Mark Strong u.a.
 
Hollywoods Auslandsjournalisten, die den „Golden Globe“ für den „Besten Film“ und den besten Regisseur vergaben, konnten wahrlich aussuchen. Sie hatten die Wahl zwischen „Irishman“, „Jokes“, „Two Popes“, zwischen Martin Scorsese und Quentin Tarantino, kurz, den absoluten Schwergewichten.
Sie wählten „1917“ und Sam Mendes. Ein Film, der es geschafft hat, aus seiner außerordentlichen Form heraus eine Geschichte komplett anders zu erzählen als üblich. Ein Regisseur, der es geschafft hat, mit einem Kunstgriff das Thema „Krieg“ in seiner grausigen Realität so nahe an den Zuschauer heranzubringen wie selten… Schade übrigens, daß der „Golden Globe“ nicht die Kategorie „Beste Kamera“ kennt: Da hätte man an Roger Deakins nicht vorbei gehen können.
 
Man ist im Kino schon in manchem schmutzigen Schützengraben gelegen, ist beschossen worden, hat das Heulen und Weinen der Verwundeten und Sterbenden gehört, aber dann gab es doch einen Schnitt, eine andere Szene, man konnte aufatmen, die Situation wurde in vielen Aspekten und Blickwinkeln gezeigt.
Sam Mendes hat sich für seinen Film „1917“ etwas anderes vorgenommen. Sein Großvater, sagt der Brite (der auch zwei Bond-Filme gedreht hat), habe ihm die Geschichte der zwei Soldaten an der französischen Front erzählt (Opa war wohl einer davon), die von ihren Kommandanten durchs „Niemandsland“ zu einem britischen Truppenteil geschickt wurden, um eine Nachricht zu überbringen, die Tausende Menschenleben retten sollte. Bloß – die Deutschen waren überall. Und doch wanderten die beiden jungen Männer, ihrem Befehl gehorchend, los.
Das könnte den üblichen Kriegsfilm ergeben, zwischen der Spannung, die aus der permanenten Gefahr erwächst, und den unabdingbaren Reflexionen über die Sinnlosigkeit des Kriegs. Und noch eine Menge Nebenfiguren, um das Geschehen anzureichern. Mendes hat sich entschlossen, diesen Weg durch das lebensgefährliche Gelände in „Echtzeit“ zu erzählen – und gewissermaßen in einem einzigen Take (ein paar Schnitte gibt es, man merkt sie kaum). Das heißt, daß die Kamera ununterbrochen bei den beiden jungen Soldaten ist (von denen nur einer das Ziel erreicht), daß der Zuschauer mit ihnen durch das gefährliche Gelände eilt, ihre Anstrengungen mit empfindet, ihre – weggeschobenen – Ängste fühlt, die Verzweiflung, als einer dann allein bleibt, und dennoch die Entschlossenheit, es zu schaffen.
 
Es ist ausschließlich die Geschichte von „Private“ Blake (Dean-Charles Chapman, rundlich, sympathisch) und „Private“ Schofield (George MacKay, ein wenig mehr von Zweifel gebeutelt) – zwei einfache Soldaten, der niedrigste Dienstgrad, losgeschickt von Colin Firth in Generalsuniform, zwei junge Männer, die man sichtlich opfern kann (wobei man ohnedies nicht glaubt, daß sie es schaffen – aber einen Versuch ist es wert?).
Obwohl die beiden wenig Zeit haben, mit einander zu reden, kommen sie einem in ihrem Lauf durch das Geschehen nahe genug. Man ist mit ihnen in Gräben und unwegsamem Gelände, sucht Schutz unter Bäumen, stolpert über Leichen, fällt ins Wasser, muß zerstörte Brücken überwinden, in zerbombten Häusern Deckung suchen, trifft letal auf einen Deutschen… besonders tragisch, daß dieser tötet, als man ihn (der mit einem Kleinflugzeug abgestürzt ist) retten will… Klar wird, wenn man immer hautnah bei den beiden ist, wie unfaßlich groß die körperliche Anstrengung des „Soldat-Seins“ ist und welche innere Kraft es erfordert, hier nicht aufzugeben. Nicht jeder würde einen solchen Weg zu Ende gehen.
Natürlich „verliert“ ein Film, der sich auf zwei Personen und auf die unglaubliche Härte eines Weges konzentriert, die Möglichkeit, das Umfeld voll auszumalen. Daß einmal Mark Strong auftaucht (und vor dem Endziel warnt) und daß Benedict Cumberbatch den Befehl entgegennehmen soll, ihn aber eigentlich nicht ausführen will – das sind keine „Rollen“, sondern nur berühmte Namen, weil man solche wohl braucht, um einen Film zu „verkaufen“. Die Konzentration bleibt bei den beiden, die in ihrer Eile, den Befehl zu überbringen, kaum Zeit haben, je inne zu halten.
 
Das Bemerkenswerte an „1917“ ist, daß Sam Mendes und Kameramann Roger Deakins das Hauptaugenmerk auf die technischen Vorbereitungen der endlosen Kamerafahrten gerichtet haben müssen – und dennoch ist es kein Virtuosenstück (auch, aber nicht in erster Hinsicht). Es ging darum, das Grauen des Krieges so hautnah zu vermitteln, wie man es sich hätte nie vorstellen können.
 


Renate Wagner