Kaum sehenswert und entsetzlich spekulativ rührselig

„The Kindness of Strangers“ von Lone Scherfig

von Renate Wagner

The Kindness of Strangers
(Dänemark 2019)

Drehbuch und Regie: Lone Scherfig
Mit: Zoe Kazan, Andrea Riseborough, Bill Nighy, Tahar Rahim u.a,
 
Man kennt sie, die „Kindness of Strangers“, die es im wahren Leben so selten gibt, als ein Zitat aus „Endstation Sehnsucht“ von Tennessee Williams. Und auch da irrt sich die Heldin, wenn sie Anteilnahme an ihrer Person zu spüren meint, wo es doch nur darum geht, sie professionell „wegzuschaffen“… Ganz so pessimistisch ist die dänische Filmemacherin Lone Scherfig nicht, aber sie ist etwas anderes, das weder ihrem so benannten Film noch den Figuren noch den Zuschauern gut bekommt: nämlich entsetzlich spekulativ rührselig. Gott, wie arm sind doch die Menschen, möchte man tief seufzen, bis ein paar Happyends dann die Bitterschokolade doch noch verzuckern.
Es ist nicht ganz ein Patchwork-Film, denn nach und nach finden die Figuren schon zusammen. New York, das große Manhattan, wo an sich keiner auf den nächsten achtet, ist der Spielraum, ein anonymer Moloch – und ein Glück für Clara, die mit zwei noch kindlichen Söhnen (Anthony – Jack Fulton, und Jude – Finlay Wojtak-Hissong) vor ihrem prügelnden Polizisten-Gatten (Esben Smed, hübsches Gesicht und doch so brutal) aus der Provinz davongelaufen ist. Denn die Regisseurin unterstellt, daß es ganz leicht ist, in Nobelkaufhäusern zu stehlen oder sich in Partys zu schwindeln und Essen abzuräumen. Was man Clara natürlich nicht übelnehmen kann, schließlich muß sie für die Kinder sorgen. Zoe Kazan spielt sie, mit ihrem kleinen, spitzen Gesichtchen, das sie so hilflos aussehen läßt – und dennoch glaubt man ihr jede Sekunde, daß sie wie eine Löwin kämpft.
 
Die andere große Frauenrolle des Films ist Alice: Die einsame Krankenschwester füllt ihr leeres Leben neben dem Beruf noch mit freiwilligen sozialen Taten. Ein Mittagstisch für Bedürftige. In der Kirche eine der berühmten Gesprächsrunden für Unglückliche. Andrea Riseborough absolviert ihr Einsamkeitsschicksal mit absolut verbissenem Gesichtsausdruck, bekommt aber bei Clara wahrlich die Gelegenheit, Gutes zu tun.
In ihrer Gesprächsrunde der Unglückseligen findet man dann Marc, frisch aus dem Gefängnis (aber ein anständiger Kerl und von Tahar Rahim mit allen Aspekten des Sympathieträgers ausgestattet) und seinen Anwalt Peter (Jay Baruchel, auch bedrückt), der schwer darunter leidet, daß die Schuldigen und Schurken vor Gericht immer frei kommen. Zwei Männer zu zwei Frauen… ja, ja, ja, aber erst ganz am Ende.
Ein anderer junger Mann, Jeff (Caleb Landry Jones), schwebt dramaturgisch im sinnfreien Raum des von der Regisseurin verfaßten Drehbuchs, und ein älterer Herr hat etwas zu bieten: ein Restaurant. Kein gutes, aber ein russisches, weshalb er selbst, obwohl echter Amerikaner, angehalten ist, mit dem russischen Akzent seiner Vorfahren zu sprechen. Die Rolle ist an sich belanglos, aber Bill Nighy spielt diesen Timofey, und damit ist der Film für Leute, die große Schauspieler lieben, schon ein Quentchen sehenswert.
Darüber hinaus allerdings kaum. Sorry. Selbst New York, das als an sich immer wirkungsvolle Szenerie hier unter seinem Wert verkauft wird, nützt da nichts.
 
 
Renate Wagner