Dichte Milieuzeichnung

„Motherless Brooklyn“ von Edward Norton

von Renate Wagner

Motherless Brooklyn
(USA 2019)

Drehbuch und Regie: Edward Norton
Mit: Edward Norton, Gugu Mbatha-Raw, Bruce Willis, Alec Baldwin, Willem Dafoe u.a.
 
Gleich zu Beginn des Films stirbt Bruce Willis, ermordet. Ein Cameo, das er wohl für Kollegen Edward Norton übernommen hat, der hier – nach einer Distanz von 19 Jahren zu seinem Regie-Debut – wieder einen ganz „eigenen“ Film vorlegt: als Drehbuchautor, Regisseur, Produzent und Hauptdarsteller. Die Vorlaufzeit (inklusive aller Schwierigkeiten) betrug satte zwei Jahrzehnte…Verfilmt hat Norton in aller Ausführlichkeit (zweieinhalb Stunden) einen hoch gepriesenen Roman des Autors Jonathan Lethem.
 
Was Edward Norton als Schauspieler besonders gereizt haben mag, liegt auf der Hand: Privatdetektiv Lionel Essrog leidet am Tourette-Syndrom, das heißt, an dem Drang, plötzlich und unaufhaltsam zuckend in Beschimpfungen der Umwelt auszubrechen. Wenn jemand so sehr mit dieser Plage kämpft wie Lionel – dann ist das schon eine Geschichte für sich.
Bruce Willis, nach kurzem, souveränem Auftritt schnell tot, die Mörder auf offener Straße entkommen, muß als Frank Minna mit seiner Detektivagentur gar kein so übler Typ gewesen sein, denn die Männer, die für ihn arbeiten – darunter Lionel – sind ihm tief verbunden, hat er sie doch aus der Trostlosigkeit eines Waisenhauses herausgeholt und ihnen eine Art Heimat gegeben. Kein Wunder, daß Lionel sich unerschütterlich auf die Spur der Mörder setzt.
Und nun beginnt eine verschlungene, etwas zu breit ausgewalzte Geschichte. Dabei versteht man – aus Gründen der Optik, des Milieus – daß Norton sie aus den Neunziger Jahren (im Roman) zurück in die Fünfziger verlegt hat: Die Erinnerung daran, wie im „Film Noir“ einst die Detektive (in Regenmantel und Hut) unwiderstehlich über die Leinwand schlenderten, ist das spürbar Vorbild. Allerdings hat sich Norton immer wieder den Vergleich mit Polanskis „Chinatown“ eingehandelt, immer wieder auch mit der Bemerkung, daß er an das (wirklich beabsichtigte?) Vorbild nicht heran käme.
 
In der Milieuzeichnung ist der Film dicht. Auf den Spuren von Franks Ermittlungen (und damit seinen Mördern hinterher) gerät Lionel an allerlei wirkungsvolle Schauplätze, erst in einen schwarzen Jazz-Club, wo es für Fans ausführlich gute Musik gibt. Für den Film wichtig ist die einzig interessante Frau der Geschichte, die afroamerikanische Laura Rose (von Gugu Mbatha-Raw ungemein intelligent wirkend und gewinnend verkörpert), die sich als Anwältin für Bürgerproteste stark macht – und in der Folge die Handlung nicht mehr verläßt. (Was sich später über ihre Herkunft herausstellt, ist halt doch ein bißchen – romanhaft.)
Die junge Frau führt zum Kern der Geschichte, und für amerikanische Kritiker war klar, daß der Immobilienboß (Alec Baldwin als Moses Randolph glatt und zynisch in mondäner Umgebung) unbedingt an den Donald Trump erinnern soll, bevor er noch Präsident war – aber, wie man unterstellt, in unsaubere Bauvorhaben verwickelt. Arme Leute möglichst entschädigungslos aus ihren Slums drängen (und wo sollen sie hin?) und aus dem gewonnenen Areal für neue Bauprojekte Millionen heraus schlagen, nun das ist ja nicht ungewöhnlich. Rassismus (wer schert sich um die armen Schwarzen) und Korruption (Lokalpolitiker machen schon mit) sind absolut „normale“ Ingredienzien bei dergleichen Spielchen ums große Geld.
 
Einige Farbe gewinnt der Film noch durch die Figur des Paul Randolph, heftig gegen Moses (wie sich heraus stellt: sein Bruder) rebellierend und eine klassische Rolle für einen ungebärdigen, störrischen Willem Dafoe.
Jetzt weiß man bald, wie es lang geht, auch daß die Mächtigen keine Skrupel haben, gegen diejenigen, die ihnen Schwierigkeiten machen, rücksichtslos vorzugehen. Ganz so dramatisch wie wohl erhofft, wird es nicht, dazu ist der Film zu sehr auf Breite angelegt. Aber er hat natürlich in Edward Norton ein faszinierendes Zentrum: Einen Tourette-Kranken könnte man billig als komische Figur ausschlachten, man könnte auch eine ebenso billige Tragödie daraus drehen – aber hier versucht ein Mann, mit einer Krankheit zu leben und dennoch das durchzuführen, was er sich vorgenommen hat. Solcherart entzieht man der Hauptfigur nie sein Interesse und seiner Partnerin auch nicht, wie man ja instinktiv immer bei den „Guten“ ist. Zumal man weiß, daß sie im wahren Leben fast immer den kürzeren ziehen. Im Kino hingegen möchte man ihnen doch Chancen einräumen.
 
 
 
Renate Wagner