Alfred Hrdlicka –
und sein populärstes Kunstwerk Eine Erinnerung von Hermann Schulz Am 2. Juli 1981 wurde im Wuppertaler Engels-Garten das großartige Denkmal des Wiener Künstler Alfred Hrdlicka eingeweiht. Ich war einer der vielen Zuschauer, sah Hrdlicka, eingekreist von der Wuppertaler Polit-Prominenz Gurland, Herder, Rau u.a. nur aus der Ferne und verstand wenig von dem, was an Würdigungen vorgetragen wurde. Dieser Akt war der Schlußpunkt einer jahrelangen, teils peinlichen, teils lächerlichen Kommunaldebatte um den Künstler, um Friedrich Engels und um das Geschichtsverständnis jener Jahre (dokumentiert in: „Die starke Linke des Alfred Hrdlicka, herausgegeben von Enno Hungerland, 1981).
Ziemlich genau zwei Jahre vorher hatte es im zentralamerikanischen Nicaragua ein Ereignis gegeben, das mich weitaus mehr als die Lokalpolitik meiner Heimatstadt interessierte: die Sandinistische Revolution hatte über die Somoza-Diktatur gesiegt. Die Revolutionsregierung kämpfte in einem (von den USA) aufgezwungenen Contra-Krieg um ihr Überleben. Da das politische Herz von Hrdlicka links schlug, vermutete ich in ihm, zu Recht, einen Sympathisanten der Revolution.
Zwei oder drei Jahre, nachdem der Rat der Stadt den Wiener Künstler mit dem Denkmal beauftragt hatte, las ich eine Notiz in der Westdeutschen Zeitung: Der Marmorblick für das Engels-Denkmal sei in Wien angekommen; leider um 5 oder 6 Zentimeter zu kurz. Hrdlicka habe sogleich reklamiert und warte auf baldige Lieferung eines Blocks nach seinen Maßgaben.
In meiner Vorstellung lag der unbenutzte Block, immerhin aus reinem Carrara-Marmor, nutzlos im Garten des Künstlers herum. Das alles fiel mir wieder ein, als ich von weitem Hrdlicka vor seinem Denkmal sah.
Also schrieb ich ihm nach Wien einen Brief. Die Adresse vermittelte mir Freund Enno Hungerland. Ich bat den Künstler zu überdenken, ob es angesichts des schamlosen Krieges gegen die Revolution in Nicaragua nicht an der Zeit sei, dem Volksaufstand und der Befreiung des Landes ein Denkmal zu setzen. Da läge doch der ungenutzte Marmorblock in seinem Garten … Geld könne ich für den Auftrag nicht versprechen, wohl aber für den sorgsamen Transport mit einem kubanischen Schiff garantieren.
Meine Freunde in Managua hatten meinem Plan begeistert zugestimmt, Vizepräsident Sergio Ramírez und Innenminister Tomás Borge ließen es sich nicht nehmen, den Künstler baldigst in Wien, begleitet von Kanzler Kreisky, zu besuchen. Zwei Tage, nachdem ich den Brief abgeschickt hatte, rief mich Hrdlicka an: Mein Plan sei sehr interessant, ich solle ihn doch in Wien besuchen, um alles zu besprechen.
Natürlich fühlte ich mich höchst geehrt und machte mich auf die Reise.
Alfred Hrdlicka und seine Frau Barbara traf ich in einem Café. Ich erzählte vor diesem erlesenen Publikum von den Errungenschaften der Revolution und meiner Rolle im Rahmen der internationalen Solidarität. Tatsächlich kannte ich da vom Präsidenten Ortega bis zum letzten Minister alle persönlich.
Der Künstler rief ein Taxi, er wolle mir sein Atelier zeigen. Er und seine Frau führten mich durch alle Räume (auf dem Gelände des Prater) in einem klassischen hohem Gebäude aus der k.u.k.-Zeit, das ihm die Stadt Wien zur Verfügung gestellt hatte.
Es sei nicht verschwiegen, daß hinter vielen der zu besichtigenden Arbeiten Whisky-Flaschen verborgen waren. Hrdlicka und ich nahmen hin und wieder einen Schluck, sehr zum Mißfallen von Ehefrau Barbara, und wir kamen zunehmend in entsprechende Laune. Ich erfuhr auch, daß er Probleme mit seinen Handgelenken habe; er verabscheue das Arbeiten mit Maschinen, alles mache er mit der Hand. Seine Gelenke seien inzwischen so lädiert, daß er manchmal nachts auf dem Rücken liegend schlafe, rechts und links die Arme in Steinöl getaucht; das sei eine wohltuende Wirkung.
‚Hör auf mit dem ewigen Klopfen!‘, forderte seine Frau. ‚Du kannst so schön zeichnen!‘
Nach gut einer Stunde verließen wir das denkwürdige Atelier und durchquerten den in diesen Mittagsstunden noch wenig frequentierten Prater.
Da kam uns ein älteres Paar entgegen, Mann und Frau. „Die müssen Sie kennenlernen!“, sagte Hrdlicka und wir steuerten auf die beiden zu: Ernst Jandl und Friedericke Mayröcker, offenbar alte Freunde der Hrdlickas, die mich artig vorstellten. Und, siehe da, Jandl, als er Schulz und Wuppertal hörte, erinnerte sich, daß er in den 60er Jahren einen Lyrik-Wettbewerb des Peter Hammer Verlages gewonnen hatte. Er war (so sind die Autoren alle!) ganz angerührt, als ich ihm das Gedicht („Vater, komm erzähl vom Krieg …“) auswendig aufsagen konnte.
Ein Wort gab das andere, eine Anekdote folgte der nächsten. Hrdlicka, in bester Laune, steuerte auf ein Restaurant zu, hier würde er uns eines seiner volkstümlichsten Kunstwerke zeigen!
Weder Jandl/Mayröcker noch ich hatten die geringste Ahnung, was uns erwartete.
Als der Wirt Bier und Brezeln gebracht hatte, begann Hrdlicka leise, weil es den Wirt nichts anging, zu erzählen: „Hier in dieser Ecke saß ich vor einem Jahr, trank mein Bier und war in eine Zeitung vertieft. Ich war der einzige Gast. Da kam ein Vertreter und verhandelte mit dem Wirt; offensichtlich war geplant, Stühlen und Bänken neue Stoffbezüge zu verpassen. Der Vertreter hatte ein Musterbuch dabei, blätterte, machte Vorschläge. Der Wirt aber mochte sich nicht entscheiden. Da hörte ich, wie der Vertreter dem Wirt etwas zuflüsterte, aber ich verstand es genau: ‚Sie müssen den Geschmack der einfachen Leute treffen! Sehen Sie mal, da hinten sitzt ja einer dieser Arbeiter oder Bauern. Wie wäre es, wenn wir den fragen?‘ Die beiden steuerten auf mich zu.
‚Wollen Sie sich ein Freibier verdienen?‘, fragte der Wirt.
‚Immer!‘ antwortete ich. ‚Um was geht’s denn?‘
‚Blättern Sie doch mal diese Stoffmuster durch! Welches würde Ihnen am besten für meine Bestuhlung hier gefallen?‘
Ich nahm mir Zeit – und tippte dann ganz sicher auf ein rot-gelbes Blumenmuster.
‚Nehmen Sie das!‘, verkündete ich.
‚Sehen Sie‘, der Vertreter war ganz aufgeregt. ‚Der Geschmack solcher Leute ist unfehlbar!‘
Ich bekam mein Bier, zwei Wochen später waren alle Stühle und Bänke neu bezogen. Mit dem Design, das ich ausgewählt hatte.
Vermutlich ein volkstümlichstes Kunstwerk! Aber leider vergänglich wie alles.“
Ich traf den Künstler dann noch einmal, auf seinen Wunsch hin, in Antwerpen, wo er eine Ausstellung seiner Zeichnungen eröffnete. Er sei schon bei der Arbeit, beschied er mich, und die Regierung Nicaraguas habe sich auch schon bei ihm gemeldet. Alles sei bestens! Aus Gründen, die ich nicht kenne, wurde dann doch nichts aus dem Denkmal für die Befreiung Nicaraguas. Und Hrdlicka ist vor einem halben Jahr gestorben.
© Hermann Schulz – Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2010
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