Harald Leipnitz

(Neue Fassung)

von Karl Otto Mühl

Harald Leipnitz, ca. 1947 - Foto © Ruth Hallensleben

Harald Leipnitz
 
Ich bin auf einen Ausspruch meines alten Freundes Harald Leipnitz gestoßen, der ein großer Schauspieler war: „Das Talent kann man nicht einsetzen, wenn man sein Handwerk nicht versteht.“
 
Etwa vier Wochen vor seinem Tod war ich mit ihm im KONTRAKREIS in Bonn verabredet, wo er gastierte. Ob es denn nicht besser für ihn wäre, wenn er ein festes Engagement an einem Haus annehme, fragte ich ihn, denn er hatte schon fortgeschrittenen Lungenkrebs.
So leicht sei das gar nicht, antwortete er. Das vorhandene Ensemble reagiere mit Abwehr, wenn ein Kollege mit Bekanntheitsgrad hineingepflanzt werden soll.
Vieles kam damals zusammen, als sich sein Ende näherte. Tankred Dorst berichtete von Haralds neuer Partnerin, er wußte, wie Harald unter der Unerbittlichkeit der Trennung von seiner Familie litt. Er war ein weichherziger Mann.
In diesen Tagen traf ich beim hiesigen Discounter auf seine erste Frau, eine Religionslehrerin. Ihr zuliebe war er zum katholischen Glauben konvertiert. Wenn ich mich recht erinnere, war es nicht zur offiziellen Scheidung gekommen.
 
Ich dachte daran, daß er als erster in meinem Leben eine Geschichte von mir vorgelesen hatte. Das war 1947 in der „Kunststube Leithäuser“, einem damaligen Ladengeschäft im Von der Heydt-Museum in Wuppertal. Die Wuppertaler Künstler der ersten Stunde waren dabei, natürlich auch Paul Pörtner und Tankred Dorst. Ich glaube, er las auch seine Geschichte „Esther geht zum König“ vor.
Ich habe noch niemanden getroffen, der Harald Leipnitz nicht mochte, den liebenswürdigen Jungen aus der Wuppertaler Varresbeck.
 
Im Foyer des kleinen Theaters erlaubte er sich ein Glas Wein, meine ich mich zu erinnern. Seine neue Gefährtin kam hinzu. Er wirkte fiebrig. Seine Krankheit kannte er, aber er hoffte, daß sie zum Stillstand gekommen war.
Wir standen einander gegenüber, sprachen von seinen Plänen, seinen Gastrollen - aber mich verließ nie das Gefühl, daß hinter einem Vorhang heftige Auseinandersetzungen stattfanden, daß etwas von mir erwartet wurde, zu dem ich mich nicht fähig fühlte.
Es war, als hätte er mir flüchtig zugewinkt, als ich kurz danach die Nachricht von seinem Tod erhielt.
  
 

Bonn, Bundeskanzler Brandt empfängt Schauspieler - v.l. Liselotte Pulver, Harald Leipnitz, Rut Brandt - Foto: Engelbert Reineke

© 2015 / 2019 Karl Otto Mühl

Diese überarbeitete Fassung wurde dem Buch „Funkenflug“ entnommen, das 2018 im Nordpark Verlag erschienen ist.

Karl Otto Mühl – „Funkenflug“
Begegnungen
© 2018 NordPark Verlag, 152 Seiten, Hardcover mit Fadenheftung - ISBN: 978-3-943940-48-0
12,00 €

Weitere Informationen:  www.nordpark-verlag.de


Die Fotografin Ruth Hallensleben konnte nicht mehr ermittelt werden. Wir bitten mögliche jetzige Rechteinhaber, sich bei der Redaktion zu melden.