Von Weimar nach Wuppertal
Der Bauhaus-Künstler Oskar Schlemmer
im Von der Heydt-Museum
Teil 1
Von Rainer K. Wick
Zum Ausklang des deutschlandweit fast bis zum Überdruß gefeierten Jubiläums „100 Jahre Bauhaus“ hat einer der prominentesten Bauhaus-Künstler in Wuppertal seinen großen Auftritt: Oskar Schlemmer. Ihm widmet das Von der Heydt-Museum vom 3. November 2019 bis zum 23. Februar 2020 eine Ausstellung, die Bekanntes und weniger Bekanntes zusammenführt und dabei an die besondere Bedeutung Wuppertals für den Künstler (und des Künstlers für Wuppertal) erinnert. Die noch von Gerhard Finckh, bis vor einem halben Jahr Direktor des Museums, angeregte und von Beate Eickhoff kuratierte Schau ist keine umfassende, das Gesamtwerk des Künstlers repräsentierende Retrospektive, so wie sie vor fünf Jahren in der Stuttgarter Staatsgalerie stattfand. Zwar wartet sie mit Arbeiten aus nahezu allen Schaffensphasen auf, räumt aber dem nur selten gewürdigten Spätwerk einen besonderen Platz ein. Insofern bietet sie dem Besucher eine Fülle neuer Eindrücke und läßt sowohl die Schwierigkeiten erahnen, denen sich ein von den Nazis wegen seiner Zugehörigkeit zum Bauhaus als „entartet“ gebrandmarkter Künstler im sogenannten Dritten Reich gegenüber sah, als auch die kreativen Spielräume sichtbar werden, die sich Schlemmer in Wuppertal eröffneten.
Schlemmer am Bauhaus in Weimar und Dessau
Oskar Schlemmer, 1888 geboren, also gleichaltrig mit Johannes Itten und Josef Albers, seinen späteren Kollegen am Bauhaus, erhielt seine künstlerische Ausbildung in den Jahren 1906 bis 1910 an der Stuttgarter Akademie der Bildenden Künste bei den eher als konservativ geltenden Malern Christian Landenberger und Friedrich von Keller. Im Anschluß an einen Aufenthalt in Berlin, wo er
So wie es der Besucher des Von der Heydt-Museums von den früheren, von Gerhard Finckh initiierten und gestalteten Ausstellungen kennt, wird in der Wuppertaler Werkschau auch Schlemmer „kontextualisiert“, das heißt, in sein künstlerisch-intellektuelles Beziehungsfeld eingebettet. Dies erfolgt in den ersten Räumen der Ausstellung durch die Gegenüberstellung einiger früher Arbeiten des Künstlers mit Werken von Seurat und Cézanne (den Schlemmer ganz besonders schätzte), Picasso und Braque, Lehmbruck und Archipenko, auch von Baumeister, dem Stuttgarter Studienkollegen und späteren Mitstreiter im „Lacktechnikum“ des Wuppertaler Lackfabrikanten Kurt Herberts.
Schon im Ersten Weltkrieg waren Schlemmer abstrakt-geometrisierende Gestaltungen „seines“ Themas, des Themas „Mensch“ gelungen, dessen Bedeutung er unermüdlich betont hat und das für sein gesamtes Œuvre zentral ist. Der Mensch galt ihm als „höchster Gegenstand“, und anders als in der Kunst des Naturalismus und Realismus, des Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit ging es ihm in seinen Gemälden, Plastiken und Bühnenarbeiten stets um überindividuelle Formulierungen eines aus seiner Sicht idealen Menschenbildes.
Offenbar beeindruckt von Schlemmers streng tektonischer Bild- und Formauffassung, wie sie sich etwa in den figürlich-konstruktiven Reliefs des Jahres 1919 manifestiert (z.B. „Relief H“, „Bauplastik R“), berief der Architekt Walter Gropius den Künstler 1920 an das von ihm ein Jahr zuvor als „Einheitskunstschule“ aus Kunstakademie und Kunstgewerbeschule gegründete Staatliche Bauhaus in Weimar, wo er als sogenannter Formmeister, also als künstlerischer Leiter, in mehreren Werkstätten tätig war, zunächst in der Wandmalerei, dann in der Bildhauerei, der Metallwerkstatt und in der Bühnenabteilung. Ferner unterrichtete er das Aktzeichnen, das er später zum Unterricht „Der Mensch“ erweiterte – konzipiert gleichsam als anthropologische Grundlage der gesamten Bauhaus-Lehre. Damit machte er ernst mit dem programmatischen Satz des Bauhaus-Kollegen László Moholy-Nagy: „Nicht das Objekt, der Mensch ist das Ziel“, was angesichts des zeitweise alles dominierenden Bauhaus-Konstruktivismus zuweilen aus dem Blickfeld der Bauhäusler zu geraten drohte. 1929 schied der Künstler aus dem Lehrkörper des inzwischen in Dessau als „Hochschule für Gestaltung“ firmierenden Bauhaus aus, um eine Professur an der Schlesischen Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Breslau zu übernehmen. Schlemmers Bauhaus-Umfeld wird in der Wuppertaler Ausstellung exemplarisch durch Werke von Paul Klee, Wassily Kandinsky, Lyonel Feininger, Johannes Itten, Georg Muche und László Moholy-Nagy belegt, sein Umfeld an der Breslauer Akademie durch Arbeiten von Molzahn, Mense, Mueller, Muche und Kanoldt.
Einen Höhepunkt der Ausstellung bilden die Gemälde, Grafiken und Plastiken Schlemmers aus den 1920er und 30er Jahren. Gemessen am gewaltigen Gesamtumfang des Œuvres des Künstlers handelt es sich dabei um nicht mehr als einen kleinen Ausschnitt, und doch gelingt es der Kuratorin, Schlemmers künstlerische Suche nach einem „allgemeingültigen Typus der Gestalt“ jenseits physiognomischer Besonderheiten, psychischer Befindlichkeiten, sozialer Milieus und historischer Gegebenheiten plausibel darzustellen. Schlemmer selbst sprach von einem „zunehmenden Extrahieren von Formen und Farben“, also von einer abstrahierenden Vorgehensweise, die auf eine formelhafte Reduzierung der Figur, oft auf die typische „Violinkontur“ (wie in dem Blatt „Abstrakte Figur nach links“, 1923), und in einer strengen, tektonischen Flächenbindung besteht. Dabei erscheinen die Figuren häufig in Achsenkreuze eingespannt, die ihnen auf der Bildfläche Halt und Festigkeit geben und für den „anthropozentrischen Konstruktivismus“ (Karin von Maur) Oskar Schlemmers charakteristisch sind.
Am Bauhaus in Weimar galt das Interesse des Künstlers als Formmeister der Holz- und Steinbildhauerei anfänglich vor allem der Relief- und Rundplastik. So zeigt die Wuppertaler Ausstellung einen „Abstrakten Kopf“ aus Draht nach einem Entwurf von 1923, der mit seinen Kreisformen konsequent die Sprache der Geometrie spricht. Im Unterschied zu den flächenbetonten Kompositionen aus der zweiten Hälfte der 1910er Jahre zeichnen sich Schlemmers Gemälde, die ab 1922/23 entstanden, eher durch Räumlichkeit und Körperhaftigkeit aus. Die meist streng statuarisch inszenierten Figuren erscheinen plastisch gerundet und befinden sich in Innenräumen, deren Perspektive nur bedingt den Regeln der euklidischen Geometrie gehorcht, so daß kein „stimmiges“ Raumkontinuum im Sinne des Systemraumes der Renaissance entsteht, sondern ein „irrealer“ Raum, der an Bilder der italienischen „pittura metafisica“ denken läßt. Besonders eindrucksvoll ist das aus Winterthur nach Wuppertal ausgeliehene Querformat „Innenraum mit fünf Figuren“ von 1928 mit stilisierten stehenden, sitzenden und liegenden Gestalten in Seiten-, Rücken- und Frontalansicht. Dazu Schlemmer: „Meine Themen, die menschliche Gestalt im Raum, ihre Funktion in Ruhe und Bewegung in diesem, das Sitzen, Liegen, Gehen, Stehen, sind ebenso einfach, wie sie allgemein gültig sind. Überdies sind sie unerschöpflich.“
Ein anderes großartiges Gemälde aus dem Bestand des Von der Heydt-Museums ist „Zwölfergruppe mit Interieur“ aus dem Jahr 1930, das von einer metaphysischen Grundstimmung durchzogen ist und im Betrachter eine ganz spezifische Erwartungsspannung erzeugen kann. – Typisch für die meisten Gemälde Schlemmers aus den 1920er Jahren ist ihre Klarheit und Klassizität, die sich bis in den Bildzyklus für den Brunnenraum des Museums Folkwang in Essen (1928-30) fortsetzt – auch wenn sich in einigen dieser Kompositionen schon der Übergang zur „barocken Phase“ der Breslauer Zeit ankündigt. Dieser sogenannte Folkwang-Zyklus wurde 1934 von den Nazis aus dem Museum entfernt und gilt seither als verschollen. Lediglich historisches Bildmaterial vermag einen Eindruck von Schlemmers Figurenkompositionen zu vermitteln, die sich einst mit Georg Minnes schlanken, knienden Brunnenfiguren von 1905/06 in einem stummen Dialog befanden.
Lesen Sie morgen hier den zweiten Teil von Rainer K. Wicks Einführung in die Ausstellung.
Der Artikel ist mit freundlicher Genehmigung der Redaktion der aktuellen Ausgabe
des Kulturmagazins „die beste zeit“ entnommen worden.
Weitere Informationen: www.von-der-heydt-museum.de
|