Die Interessenlosigkeit

von Erwin Grosche

Foto © Harald Morsch

Die Interessenlosigkeit
 
Ein Schlüsselerlebnis für Doktor Staub
 
Doktor Staub hatte beim Tanken noch genug Zeit, einen Blick in den Rückspiegel zu werfen. Konnte es sein, daß der Kragen seines weißen Hemdes sowohl unter dem Pullover versteckt war, als auch auf der anderen Seite über den Pullover herausragte? So konnte er nicht zur Arbeit gehen. Er fragte in der Tankstelle nach, ob etwas an ihm auffallen würde. Die blonde Verkäuferin schaute ihn kurz an und sagte dann schnell und fast abwertend: „Nein“. Sie hätte bemerken können, daß er gestern noch beim Friseur war. Neu war auch, daß er eine Breitcordhose trug. Stolz war Doktor Staub auch, daß er sich getraut hatte, ein neues Parfüm zu benutzen. „Werfen Sie doch noch mal einen Blick auf mich“, bat Doktor Staub. Die Tankstellenmitarbeiterin seufzte und musterte ihn. „Ich finde sie in Ordnung“, sagte sie schließlich und ließ seine Tankquittung ausdrucken. Mehr wollte Doktor Staub nicht hören und ging zur Arbeit mit einem Hemd, dessen Kragen sowohl unter seinem Pullover versteckt war, als auch auf der anderen Seite über den Pullover herausragte. Die allgemeine Interessenlosigkeit ließ ihn frei und nachlässig werden.
 
 

© Erwin Grosche
 Aus: Grosches Weltlexikon