Breit gewalzte Schnulze mit Gesülze

„Gut gegen Nordwind“ von Vanessa Jopp

von Renate Wagner

Gut gegen Nordwind
(Deutschland 2019)

Regie: Vanessa Jopp
Mit: Nora Tschirner, Alexander Fehling, Ulrich Thomsen u.a.
 
Man fragt sich nun schon, was hier passiert ist – und die Antwort fällt so unerfreulich aus wie möglich. Da hat der österreichische Autor Daniel Glattauer 2006 (man bedenke, das ist 13 Jahre her, und da hatte noch nicht jeder ein Smartphone in der Hand, da mußte man sich zum Chatten noch vor den PC setzen) einen Roman geschrieben, der auf der Höhe der damaligen Zeit schwamm: „Gut gegen Nordwind“ bestand aus nichts als den e-mails zweier Beteiligter, die quasi durch Zufall (vertauschter Buchstabe in der Adresse) ins Gespräch gekommen waren – und sich bis in emotionale Tiefen kennen lernten. Gerade die Schlankheit der Mails (und nichts anderes) machte Reiz und Zauber der Sache aus. Und weil die Dramatisierung sich ebenso knapp hielt, Sie und Er jeweils am Computer, funktionierte auch das.
 
Aber die Verfilmung der deutschen Regisseurin Vanessa Jopp nach einem Drehbuch von Jane Ainscough macht so gut wie alles falsch. Sie bläht die Privatgeschichten der beiden Protagonisten weit über das Buch hinaus auf, schaukelt Drama und Pathos hoch – und auf einmal ist die Geschichte der beiden nur Unsinn, zwei Erwachsene, die nicht wissen, wie „Internet“ heute geht, die imstande sind, sich schriftlich ganz nahe zu kommen, aber einander weder googeln noch Fotos ansehen… wer soll das glauben? Wahrscheinlich ist die Sache an sich heute nicht mehr so frisch und glaubwürdig wie einst, aber in dieser breit gewalzten Schnulze mit all ihrem Gesülze hat man sie glatt ruiniert.
Abgesehen davon, daß die privat anstehenden Probleme von Leo und Emmi nerven, weil sie so platt mühsam und auf der Hand liegend sind – er mit Ex-Freundin, vertrauter Schwester, entfremdeter Mutter, die stirbt, und offenbaren Bindungsproblemen; sie mit dem älteren Dirigenten-Gatten und den zwei Stiefkindern, die sie voll beanspruchen – , funktioniert es auch mit den Darstellern nicht, und das erstaunt.
Immerhin hat Alexander Fehling zumindest einst als Titelheld des „Goethe“-Films bewiesen, daß er Leinwand-Charisma haben kann: Hier hängt er todtrocken und uninteressant, müde und ausdruckslos vor der Kamera. Und Nora Tschirner ist, wie man weiß, ein komödiantisches Talent für sich. So schlecht gespielt hat sie wohl noch nie. Da hat man doch Lust, Regisseurin Vanessa Jopp nicht nur für das Versagen des ganzen Films, sondern auch für das der Darsteller verantwortlich zu machen…
 
Am Ende, als die beiden einander gegenüber stehen, wird „abgeblendet“, und der Zuschauer kann sich selbst das Happyend ausmalen oder nicht. Aber nein, Freunde, wir, die wir den Roman gelesen und geliebt haben (und darum über den Film so böse sind), wir wissen mehr. Nämlich, daß Daniel Glattauer unter dem Druck des Erfolgs drei Jahre später die Fortsetzung nachgeschoben hat, die mit „Alle sieben Wellen“ einen genau so blöden Titel hat wie „Gut gegen Nordwind“. Und daher wissen wir, daß Leo zwar nach Boston gegangen ist, dann aber zurückkehrt und es mit Emmi – teils per Mail, teils live – komplett turbulent weiter geht. Bitte, liebes Team, verfilmt das nicht auch noch. Schon der erste Anlauf war schlimm genug.
 
 
Renate Wagner