Wie die Welt von innen ihre Form erhält

Epilog

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Wie die Welt von innen ihre Form erhält

Von Ernst Peter Fischer
 

Epilog
 
Die außen wahrnehmbare Wirklichkeit kommt dank der innen angelegten Möglichkeiten zustande, wobei es vielleicht vielen Menschen noch nicht ausreichend klar ist, daß sie in jedem Augenblick eine Fülle von Möglichkeiten haben, ihre Realität zu verlassen. Alles, was da ist, bemüht sich darum, die Welt der Möglichkeiten zu vergrößern. Die Atome schaffen die Möglichkeit der Existenz, die Gene schaffen die Möglichkeit des Menschen, die Menschen schaffen mit der Wissenschaft immer neue Möglichkeiten, das Leben zu führen. Es gibt eigentlich nichts außer den Möglichkeiten, die allerdings die ganze Welt ausmachen, und zwar für Faust die große und die kleine Welt. In beiden Fällen will er immer nur mehr – mehr Wissen, mehr Macht, mehr Sex, mehr Land. Und er weiß, daß es dieses Mehr in Form von Möglichkeiten gibt, wobei er als moderne Naturforscher den Weg dahin zu kennen meint.
 
Modern – das meint im Falle von Faust, daß er nicht mehr wie die Vertreter der Alchemie denkt, die nicht nur das wertvolle Innere von Stoffen – also das Gold aus dem Blei – befreien wollte, sondern die auch das Innere der Menschen befreien wollten, in denen Gehirne darauf warteten, ihr Wissen einzusetzen. Alchemisten wollten keineswegs etwas neu schaffen, und sie folgten der Natur vor allem, um sie zu vollenden, und dann tauchte die moderne Form der Naturwissenschaft auf, und die ging spätestens seit den Tagen von Faust völlig anders vor. Ihr Wahlspruch lautet, Wissen ist Macht, was genau bedeutet, daß man die Gesetze der Natur mit dem Ziel ihrer Unterwerfung ergründen soll. Seit ihren Anfängen versucht die westliche Wissenschaft, die Natur zu verstehen, um sie zu beherrschen. Und genau an dieser Stelle steckt auch der Unterschied zwischen der Alchemie aus alter Zeit und der Biotechnologie aus unseren Tagen, die hier als pars pro toto für die Wissenschaft steht und den Wandel durch genetische Eingriffe anstrebt. Denn während die Alchemie das Innere befreien wollte, bemüht sich die Biotechnologie, das Innere (genetisch verstanden) zu beherrschen. Für den Alchemisten befindet sich im Inneren des Menschen ein Geist, der darauf wartet, entschlackt und perfekt zu werden (mit dem Ziel von innen). Für den Biotechnologen befindet sich im Inneren des Menschen ein Genom, das darauf wartet, verbessert zu werden (mit dem Ziel von außen).
 
Wer jetzt fragt, welche die den Menschen angemessenere Art ist, sollte bedenken, daß er es mit primär ästhetischen Wesen zu tun hat. Menschen erfahren erst, was schön ist, bevor sie lernen, was gut ist. Mit anderen Worten, Menschen streben nach Schönheit, und das heißt – frei nach Schiller – nach Vollkommenheit in Freiheit. Damit erkennt man ein Problem der modernen Wissenschaft, das die Alchemie nicht hatte. Denn mit genetischen Manipulationen wird Vollkommenheit in Unfreiheit geschaffen. Existierende Organismen sollen verbessert und auf einen Nutzen hin perfektioniert werden, und zwar durch Vorgaben von außen. Bei solchen Vorgängen wird nichts befreit, aber alles bestimmt, und zwar von außen. Der perfekte Mensch kann nicht mehr selbst entscheiden, was er will. Er ist somit vollkommen unfrei – und was immer er erreicht, er kann sich nicht darüber freuen und wird finden, daß sich sein Leben nicht lohnt. Dabei wissen wir doch, daß das Gegenteil der Fall ist, gerade weil wir eine Wissenschaft haben, die längst mehr kann als jede Alchemie. Sie kann vor allem verstehen, wie die Welt von Innen ihre Form erhält.
 
***
 
 
© 2018 Ernst Peter Fischer