Ein Andy Warhol des 17. Jahrhunderts?

Rembrandt. Die Selbstporträts. Zum 350. Todestag des Malers

von Johannes Vesper

Zum 350. Todestag:

Rembrandt - Die Selbstporträts
 
Von Johannes Vesper
 
Selfies des 17. Jahrhunderts? Von 1628 bis 1669 hat sich Rembrandt Harmenszoon van Rijn (1606-1669) mehr als 80 mal selbst gemalt, gezeichnet und in Radierungen dargestellt. Er begann damit im Alter von 22 Jahren, und das letzte er Selbstporträts entstand kurz vor seinem Tod. Etliche große Maler haben sich selbst porträtiert. Renato Guttuso hat sie – von Dürer über Rembrandt bis hin zu Picasso - in seiner „Unterhaltung mit den Malern“ (1973) alle zusammen an einen Tisch gesetzt. Welches Interesse mag Rembrandt bei seinen Selbstbildnissen gehabt haben? Gab es einen Markt dafür? Immerhin wurde in einer der frühen Kunstgeschichten, dem Schilder-Boeck Karel van Manders von 1604 auf Selbstbildnisse von Künstlern hingewiesen. Rembrandt lebte von seiner Kunst und rechnete jedenfalls damit, sie lukrativ verkaufen zu können.

Offensichtlich hat er auch verkauft und manche sogar als Auftragsarbeit erstellt. Die Selbstbildnisse fehlen jedenfalls bei der Auflistung seiner Besitztümer 1656; und eines fand sich immerhin in der Galerie der Medici in Florenz. Mit der Zahl verkaufter Selbstbildnisse wuchs schon damals der Ruhm eines Künstlers. War Rembrandt mit seinen zahlreichen Selbstporträts also ein Andy Warhol des 17. Jahrhunderts?


Rembrandt Harmenszoon van Rijn, Selbstporträt als lachender Soldat 1628

Als eine Autobiographie in Bildern können sie wohl nicht angesehen werden. Vielleicht wollte er aus praktischen Gründen (kein fremdes, zu bezahlendes Modell) in den frühen Selbstporträts studieren, wie ein bestimmter Gesichtsausdruck entsteht, wie Licht und Schatten im Gesicht wirken. Die Hell-Dunkel-Malerei (Chiaroscuro) war schon von Caravaggio Jahrzehnte zuvor in extenso gepflegt worden, also bei Rembrandt nicht originell. Beim Selbstporträt von 1629 werden Stirn, Augen und das linke Gesicht durch die wuscheligen Haare beschattetet, während das rechte Gesicht in hellem, warmem Licht aufleuchtet.
 

Rembrandt Harmenszoon van Rijn, Selbstporträt 1629, München Alte Pinakothek
 
Handelt es sich vielleicht gar nicht um sein individuelles Künstlerporträt als vielmehr um eine Gesichtsstudie (Tronie)? Viele Maler haben damals vor allem in den Niederlanden solche Tronies nach lebenden Modellen zur Vorbereitung von Figuren in großen Gemälden gemalt und gezeichnet. Tatsächlich erscheint Rembrandt in seinen Brustbildern mal mit offenem Mund, mal mit geschlossenem, nach links oder auch rechts gewendet, mit wallendem, wirrem Haar oder mit Barett. Etliche von seinen Porträts scheinen wie fotografische Schnappschüsse die aktuelle Situation widerzuspiegeln.
 

   
Rembrandt Harmenszoon van Rijn, Selbstporträt 1630 - Albertina Wien
 
Jedenfalls passen die frühen Selbstporträts Rembrandts nicht zu den Porträts, wie sie damals üblich waren, wenn aus Kleidung, Schmuck, Hintergrund auf die Bedeutung und Herkunft des Dargestellten geschlossen werden sollte, der für sein Bild ja Honorar entrichtet hatte. Ob sich in Rembrandts Studien vielleicht auch eine gewisse Selbstironie zeigt, wenn er sich in prächtigem Mantel gemalt (1631 Wien Albertina) oder als orientalischer Fürst mit Feder im Turban, Kaftan, Schärpe und schwerem Samtmantel in ganzer Figur dargestellt hat? Im Kölner Selbstbildnis von 1662 erscheint er lachend, wie der antike Zeuxis, der sich bekanntlich zu Tode gelacht hat. Vielleicht lacht er auch nur über die Welt und sein Leben, denn er starb ja erste einige Jahre später. Das Selbstbildnis von 1658, also zur Zeit seiner Insolvenz, zeigt ihn mit gefurchtem Gesicht in prächtiger Kleidung, in der rechten Hand einen Stock mit Silberknauf tragend, als Malerfürst im Lehnstuhl thronend.
 

Rembrandt Harmenszoon van Rijn, Selbstporträt 1658
 
Hat er sich beim Blick in den Spiegel gemalt? Ernsthafte Stimmen vermuten, daß der Maler sich bzw. sein Gesicht mit einem flachen und einem konkaven Spiegel auf die vor ihm stehende Leinwand projiziert haben könnte, um so möglichst naturgetreu seine Gesichtszüge zu übertragen. Rembrandt hätte dann Grimassen schneidend malen müssen außerdem hätte die Projektion wohl auf dem Kopf gestanden. Interessante Spekulationen.
 
Was war Rembrandt für ein Mensch, wie hat er gelebt? Mit 14 Jahren wurde er nach dem Besuch der Lateinschule als Student der Universität Leiden eingeschrieben, begann aber gleichzeitig eine Lehre bei dem Leidener Maler Jabob Isaacsz van Swanenburg , eröffnete 1625 sein eigenes Atelier und malte 1628 seine ersten Selbstbildnisse. 1631 zieht er als inzwischen erfolgreicher Porträtmaler nach Amsterdam, wo 1632 u.a. die berühmte „Anatomie des Dr. Tulp“ entstand, und er heiratete 1634 Saskia Uylenburgh aus Leeuwarden. Seine erste Tochter verstarb 1638, seine zweite wenige Wochen nach ihrer Geburt zwei Jahre später. In seinem Selbstbildnis von 1640 (London National Gallery) stellte sich der inzwischen sehr erfolgreiche 34jährige in eleganter Kleidung selbstbewußt dar. 1641 erkrankte Saskia (an Tuberkulose?), Geertje Dirks half im Haushalt, blieb bei Rembrandt nach dem Tode Saskias 1642 und vermachte 1648 ihr Vermögen dem kleinen Sohn Rembrandts, Titus. 1649 zog sie aus.


Rembrandt van Rijn, Selbstporträt 1635 -39 - Der Verlorene Sohn im Wirtshaus mit Saskia

Der Beziehungsstreit zwischen den beiden führte zu Unterhaltszahlungen Rembrandts. Sie starb 1656 im Frauengefängnis von Gouda. 1650 lebte die 20 Jahre jüngere Hendrickje Stoffels bei ihm, weswegen sie vom  Kirchenrat der Hurerei beschuldigt wurde. 1653 wurden finanzielle Probleme bei Rembrandt offensichtlich. 1656 wurde gegen Rembrandt ein Insolvenzverfahren eröffnet. Sein Haus, sein Vermögen reichten nicht aus, die Gläubiger zufrieden zu stellen. Rembrandt arbeitete als Angestellter in der Kunsthandlung, die sein Sohn Titus zusammen mit Hendrickje inzwischen gegründet hatte. 1663 starb Hendrickje vermutlich an der Pest. Rembrandt bekam Aufträge aus Italien, wurde Pate seiner Enkelin, nachdem sein Sohn 1668 verstorben war, und starb am 04.10.1669. In der Westerkerk zu Amsterdam wurde er beigesetzt.
 
Aus seinen letzten Lebensjahren stammt das Porträt mit Palette und Malstock. An diesem Gesicht sind die Schicksalsschläge seines Lebens nicht spurlos vorübergegangen. Welche (symbolische?) Bedeutung den Kreisen auf der Wand zukommt, bleibt unklar.
 

Rembrandt Harmenszoon van Rijn, Selbstporträt 1665
 
Die Selbstporträts Rembrandts erscheinen 2019 bei Taschen (Köln) zusammen mit Rembrandt: Sämtliche Gemälde (Volker Manuth, Marieke de Winkel und Rudie van Leeuwen) und Rembrandt: Sämtliche Zeichnungen und Radierungen( Peter Schatbon unf Erik Hinterding). Der vorliegende prächtige Band mit ovalem Lentikulardruck von sieben seiner Selbstbildnisse auf dem Vorderdeckel, die sich bei unterschiedlichem Lichteinfall jeweils zeigen, bietet ca. 70 Gemälde, Radierungen und Zeichnungen in gewohnt exzellenter Druckqualität. Ein Essay zu den Selbstbildnissen, eine kurze Biographie und Informationen zu jedem der Bilder liefern Informationen zum Thema.


Rembrandt Harmenszoon van Rijn, Selbstporträt als Zeuxis 1663

Rembrandt Die Selbstporträts. Zum 350. Todestag des Malers herausgegeben
Mit einem Essay über die Selbstporträts und einem Lebenslauf Rembrandts von Volker Manuth und Marieke de Winkel, directed and produced bei Benedikt Taschen.
© 2019 Taschen GmbH Köln, 175 Seiten, gebunden, insgesamt 70 Abbildungen - ISBN 978-3-8365-7701-4,
50.- €
Weitere Informationen: www.taschen.com

Redaktion: Frank Becker