Totes Meer

Ein Bericht vom tiefsten Punkt der Erde

von Anja Liedtke

Blick aufs Tote Meer - Foto © Anja Liedtke

Totes Meer
 
Spitznasige mausgraue Felsen unter einem rosa-lila Himmel. Er schaut sich im Spiegel an, so daß auch zwischen den spitzen Felsen ein glattes Lila-Rosa liegt. Gott war ein Kind, als er das Tote Meer und seine Umgebung schuf. In die Spalten stellte er Steinböcke. Sie stehen immer noch wie angewurzelt da. Aber niemand schlägt hier Wurzeln, weil unter dem Boden kein süßes Naß wartet und der bunte Himmel nicht regnet. Tut er es einmal im Jahr zwischen November und März, springt das Wasser gleich von Stein zu Stein und schießt die Rinnen herunter durch die Wadis. In der Hektik versäumt das Wasser, in die Erde zu dringen.

Die Menschen haben ein schwarzes Band um den See gelegt. Auf dem fahre ich unter bonbonfarbenem Himmel, am geschmolzenen Lolli entlang, mit einem Auge auf das Anthrazit, ob es herunterrollen und mich erschlagen will. Neben dem Asphalt zieht sich ein stachliger Zaun, bis ein Wohnwagen und ein Wärterhäuschen auftauchen. Dort lungern bewaffnete Twens in Militärkleidung und langweilen sich. Coole Cop-Sonnenbrillen tragen sie auf den sonnengebräunten und gecremten Nasen, Uzis über den sportlichen Schultern. Zu den Twens führen Seile. Die liegen auf dem Boden und überqueren die Straße. Wenn die Soldaten daran ziehen, schleifen eiserne Stachelmatten in die Mitte der Fahrbahn und lassen Reifen platzen.
Wer passieren darf, der passiert bald auch am rechten Hang einen exotischen Garten. In dem kann man für viel Geld wohnen. Wer kein Geld besitzt, fährt weiter, stellt sein Gefährt für ein paar Stunden auf einen Parkplatz und steigt links ab ins Meer. Dort sind die Steine in Salzkruste gebacken. Ich hebe einen auf und lecke an ihm. Ich werfe ihn fort. Das Salz springt ab. Die Bitternis spucke ich in den dunklen Sand. Ich steige ins Spülwasser. Auf der Oberfläche bildet es Schlieren und um meinen Körper herum schleimt ein schmieriger Film. Kein Fisch, keine Wasserpflanze, nicht einmal eine Alge mag darin leben.


Steine mit Salzkruste - Foto © Anja Liedtke

Ein Tropfen spritzt auf mein Lid, ich wische ihn ab. Infolgedessen klettere ich jetzt jammernd über rote und schwarze runde Steine, um fremde Menschen von der Süßwasserdusche zu stoßen. Schwarz bematscht stehen sie um mich her und warten. Der Morast trocknet auf ihren Leibern und schauspielert Neoprenanzüge. Doch die Anzüge lassen sich abwaschen, wenn nur die Dusche freigegeben würde.
Ich stolpere zurück ins Schleimsalz, diesmal bedacht, die Glätte nicht zu kräuseln. Die digitale Leuchttafel am Pfahlbau der Lebensrettung zeigt 48 Grad Celsius Lufttemperatur an. Ich bekomme eine Gänsehaut. Wie hohe Temperaturen überlebt ein Mensch? Ich schaue mich um. Niemand außer mir gerät in Panik. Palästinenserinnen in Burkas sitzen am Ufer und im Naß und essen Wassermelone. Ein sehr hellhäutiger Orthodoxer hat nichts an als seine Schläfenlocken und versucht eine Unterhose von Calvin Klein überzuziehen, bevor jemand sein schönes dunkles Schamhaar sieht. Das Handtuch ist in den Sand gefallen, er schlägt es aus und wirft es einem Bodybuilder zu. Der hockt im Meer und umarmt seine Freundin. Das Handtuch fängt er auf, hängt es ihr um, sie erhebt sich aus dem Wasser, steigt das Ufer hoch. Ein seltsames Vorgehen. Vielleicht rührt es von einem zerrissenen oder verschmutzten Bikini.


Deutsche Touristen schießen das Foto, das sie in ihren Reiseführern gesehen haben: im See sitzender Zeitungsleser. Wer keine Zeitung mitführt, bedient sich des Reiseführers. Ein Zitat wird zitiert. Ich denke über die Postmoderne nach, während ich versuche, die Füße ohne umzukippen unter die Oberfläche zu drücken, um eine Vertikale zu bilden wie eine Boje.
Ich fürchte mich vor dem Wasser, das die Gesetze unserer Erfahrungen bricht. Ich habe Angst vor der Hitze, obwohl ich sie nicht empfinde, was mich noch mehr irritiert. Darum steige ich aus Gottes Kinderspiel und fahre bis Ein Boker. Dort stehen Hotels, wo einst Lots Frau stand. Vor Schreck und Grauen ist sie angesichts von Sodom zur Salzsäure erstarrt. Das war schon damals eine aus der Natur abgeschaute Metapher: Wo weder Badende noch Mineral-Industrie liegen, bildet das Salz Figuren.
Wo Hotels und Touristen sind, ist die Natur nicht gefährlich, hier will ich es erneut wagen. Ich muß das in der Welt einzigartige Element kennenlernen, bis die saure Angst ins salzige Meer weicht. Doch als ich hinausschwimme, schlägt mir der Schwefelgestank der Hölle entgegen und wirft Blasen auf das glatte Wasser. Der Teufel liegt in der Badewanne und furzt. Auf dem Grund verbirgt sich ein Loch. Eine Stunde umkreise ich schwimmend den Blubber, bis ich wage, über ihn hinweg zu schwimmen. Der Gestank bringt mich fast um, aber nichts zieht mich tiefer als die 400 Meter, die ich schon unter Erdoberfläche und Meeresspiegel bin. Der Beweis ist erbracht, die Hölle existiert weder auf noch in diesem Planeten. Sie ist von Menschen gemacht. Die Hölle ist ein Hirngespinst, das machtlüsterne Leute in leergeräumte Köpfe gesetzt haben. Mit dieser Erkenntnis und stolzgeschwellter Bikinibrust steige ich an den Strand und mische mich unter hundert russische Rentnerinnen und Rentner.


Die Negev-Wüste - Foto © Anja Liedtke

Ich steige ins Auto und fahre in die Gesteinswüste des Negev. Verblichenes Rosa, Gelb und Grau nie vergehender Plastiktüten weht über verrostete Dosen und Autos. Beduinen bewohnen Plastikplanen über Metallstangen. An den Straßenrändern warnen Schilder: »Feuerzone. Militärisches Gebiet.« Lautes Geräusch kündigt Kampfflugzeuge an. Sie fliegen wenige Meter über dem ebenen Erdboden neben meinem Fahrzeug. Fliegen sie ein Übungsmanöver oder geht es nach Gaza? All die tote Materie und das Tod Verheißende fallen stärker auf als der Steinbock im Straßengraben. Er erntet das spärliche Gras in der Wasserrinne. Die Berge hinter mir streifen schwarze lange Kleider über. Der Himmel wird nächtlich.
 

Zuerst erschienen in: Blumenwiesen und Minenfelder. Reiseerzählungen aus Israel, Freiburg, Bochum 2014.
 Redaktion: Frank Becker