Leben eines Mannes

von Werner Bergengruen

Foto © Erben Bergengruen
Leben eines Mannes
 
Gestern fuhr ich Fische fangen,
Heut bin ich zum Wein gegangen,
– Morgen bin ich tot –
Grüne, goldgeschuppte Fische,
Rote Pfützen auf dem Tische,
Rings um weißes Brot.
 
Gestern ist es Mai gewesen,
Heute wolln wir Verse lesen,
Morgen wolln wir Schweine stechen,
Würste machen, Äpfel brechen,
Pfundweis alle Bettler stopfen
Und auf pralle Bäuche klopfen,
– Morgen bin ich tot –
Rosen setzen, Ulmen pflanzen,
Schlittenfahren, fastnachtstanzen,
Netze flicken, Lauten rühren,
Häuser bauen, Kriege führen,
Frauen nehmen, Kinder zeugen,
Übermorgen Kniee beugen,
Übermorgen Knechte löhnen,
Übermorgen Gott versöhnen
- Morgen bin ich tot.
 
Werner Bergengruen
 
 
 
Werner Bergengruen lebte von 1892 bis 1964. Er hinterließ ein umfangreiches Werk in Lyrik und Prosa. Mit der freundlichen Erlaubnis der Werner Bergengruen-Gesellschaft, die auch die Erben Bergengruens vertritt, dürfen wir Texte aus seinem Œuvre veröffentlichen.