Wie die Welt von Innen ihre Form erhält

Eine Frage der Kreativität

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Wie die Welt von innen ihre Form erhält

Von Ernst Peter Fischer
 

Eine Frage der Kreativität
 
Der französische Molekularbiologe François Jacob hat einmal gesagt, daß eine Zelle davon träumt, sich zu teilen und zwei Zellen zu werden. In der Romantik hätte man von einem Urphänomen gesprochen, womit ein bedingungsloses Geschehen gemeint ist, das der Welt zugehört und sie befähigt, ihr Potential auszuschöpfen und den ihr innewohnenden Willen erkennen zu lassen, womit in der Physik die Kraftfelder und ihre Energie gemeint sind, wie noch ausgeführt und relevant wird.
 
Das werdende Leben agiert fraglos kreativ, weshalb es angemessen scheint, auch die Entwicklung eines Organismus – seine Formwerdung – als kreatives Geschehen anzusehen und nicht mit dem maschinenorientierten Begriff eines genetischen Programms zu beschreiben, wie es seit den 1960er Jahren und heute immer noch geschieht. Die Rede von Programm sollte dort bleiben, wo sie herkommt und sinnvoll ist, nämlich bei der Software eines Computers, die einem Laptop seine Qualitäten gibt und dessen Nutzer zum Beispiel einen Text schreiben läßt. Von der Kreativität ist selten im biologischen Rahmen und mehr im künstlerischen Kontext die Rede, wodurch eine mögliche Übereinstimmung leicht zu übersehen ist, die hier aber ausgeführt werden soll.
 
Wenn gesagt wurde, daß ein Mensch sein Leben mit der dazugehörigen Idee im Genom seiner Zellen beginnt, dann trifft dies analog für ein Kunstwerk zu, dessen Anfertigung und Ausführung ja auch mit einer Idee im Kopf des Künstlers beginnt, die Schritt für Schritt umgesetzt wird, wobei der bildende Vorgang permanent mit der ursprünglichen Idee verglichen und an diese angepaßt wird. In der Kunst kann man den Macher nicht vom Gemachten trennen, und bei der Hervorbringung des Lebens kann man das Genom nicht von dem trennen, das mit seiner Hilfe heranwächst und Form annimmt. Die amerikanische Nobelpreisträgerin Barbara McClintock hat das Genom einmal als sensitives Organ einer Zelle bezeichnet, das in der Lage ist, den Ort im Organismus zu kennen, an dem es seine Informationen einsetzen muß, um das Ganze geeignet werden zu lassen, und dies scheint ein lohnender Gedanke für den zu sein, der die jeweils zu bildenden Formen des werdenden Lebens erklären möchte.
 
Unter dieser Vorgabe läßt sich sagen, daß das Innen des Lebens nicht die Genome in den Zellkernen sind. Das Innen des Lebens ist wahrscheinlich überhaupt nicht materiell, es handelt sich eher um den Willen zum Leben, der sich in dem offenbar unbändigen Drang zeigt, die Möglichkeiten des Genoms kreativ auszudrücken und als Leben in die Welt zu setzen, das selbst kreativ agieren kann.
 
 
© 2018 Ernst Peter Fischer