Anthropozän

Ein Weckruf

von Rudolf Engel

Foto © Frank Becker
Anthropozän
 
Ein Weckruf
 
Anthropozän, diesen Begriff hatten meine beiden Professoren der Geographie damals noch nicht gebraucht; aber ich erinnere mich noch genau an das erste gemeinsame Oberseminar der beiden im Sommersemester 1961, zu dem ich mich damals mit einem Referat über das Passatostseitenklima von Madagaskar abgemüht hatte.
Was aus dem prächtigen, in Thematik und Qualität einmaligen Seminar von Prof. Dr. C. Rathjens, Physische Geographie mit Schwerpunkt Glazialmorphologie und Prof. Dr. J. Schmitthüsen, Biogeographie mit Schwerpunkt Klimatologie für unsere heutigen Tage festgehalten werden kann, ist folgende sinngemäß wiedergegebene Aussage:
 
Feststeht, daß wir uns geologisch innerhalb der jüngsten Raumzeitformation des Pleistozäns gegenwärtig im Holozän befinden, mit mehreren wechselnden, geologisch kürzeren Warm- und Kaltzeiten und uns seit den letzten 10 000 Jahren wieder in Richtung auf eine Warmfront bewegen.
Fest steht, daß die Erwärmung jedoch von dem Menschen in einem einzigen Lebensalter nicht wahrgenommen und in seinem persönlichen Lebensgefühl nicht empfunden werden kann, weil der klimatische Wandel dafür zu langsam fortschreite.
(Übrigens, der gegenwärtige amerikanische Präsident glaubt heute noch an diese These und kennt auch nicht die wichtige Einschränkung, die beide dazu, wie folgt, machten):
Wenn jedoch der Mensch des 20. Jahrhunderts derart, wie mit dem bisher aufwendigsten Materialverschleiß und der bisher größten Naturzerstörung durch die beiden Weltkriege, in einer beschleunigten Wiederfortsetzung der industriellen Revolution bemüht sein wird, noch verstärkter in den ökologischen Kreislauf der Natur einzugreifen, könnte dies auch beschleunigend auf den angelaufenen klimatischen Wandel einwirken, was jedoch gesamtgeologische nur schwer nachweisbar wäre.
 
An diese vor 60 Jahren getroffene Aussage hatte mich vor kurzem ein höchst bedenklicher und trauriger Anlaß erinnert, die naturzerstörende und menschenvernichtende Unwetterkatastrophe in Mozambique. Als wir die Bilder im Fernsehen zusammen sahen, da kam es spontan aus Inges Mund: Passatostseitenklima! Inge wußte sofort bescheid; denn sie kannte damals jede Zeile meines Referates, das sie für mich in die Schreibmaschine tippte.
 
In meinem weiß Gott erfüllten Leben bin ich von Anfang an schon als Geißenbauerjunge aufmerksam in der noch halbwegs intakten Natur aufgewachsen und auch in ihr weiter daheim geblieben, nicht nur nach einem erfolgreichen Studium der Geographie.
Stets das Auge offen für die Wandlungen auf unserm so kleinen und in vielem doch so großartigen Planeten, glaube ich, wissen zu können, was ich da beobachte.
Jetzt nun nach fast runden 9 Jahrzehnten werde ich den großen Kollaps, von dem Stephen Hawkings pessimistische Prophezeiung spricht, nicht mehr auf seinem Höhepunkt erleben.
Aber auch aus meiner lebensbegleitenden sportiven Erfahrung weiß ich zu antiziperen; es muß uns ja demnächst nicht so total treffen wie die damaligen Regenten des Orbis, diese täglich tonnenweise unersättlichen Grün- und Fleischfresser, deren Zeit längst schon vor dem Metroriteneinsturz besiegelt war.
 
Eines aber scheint ziemlich sicher: Wenn wir so weitermachen, werden wir noch vor den Augen der folgenden Generationen nicht nur die wunderbare Welt der Flora und Fauna, sondern letztlich uns selbst vernichtet haben.
 
Prof. Dr. Rudolf Engel, Baden-Baden, 29. Juli 2019

Redaktion: Frank Becker