Vom Gleiten in unendliche Welten

Über den Wert des Buches

von Erwin Grosche

Erwin Grosche - Foto © Silke Kesting
Vom Gleiten in unendliche Welten
 
Über den Wert des Buches
 
In einer fremden Stadt suche ich immer Trost in Bäckereien, Buchhandlungen und Kirchen. Hier wird man verwöhnt und sammelt Kraft. Ich bin mit Gott, Torten und Büchern aufgewachsen und kann mir ein Leben ohne sie nicht vorstellen. Was wäre das Leben ohne Hingabe? In einer Meldung der NW vom Juli 2019 las ich nun, daß unser Erzbischof Hans-Josef Becker die Verdrängung von Büchern und Fachzeitschriften durch elektronische Medien bedauert: „Während es überall blinkt und piept und flimmert, hat es das Buch zunehmend schwer.“ Bücher seien ein Lebenselixier. Sie setzen Gedanken und Emotionen frei und lassen „uns in schier unendliche Welten gleiten“ (KNA). Es kann schon sein, daß das Buch in seiner bekannten Erscheinungsform von vielen Menschen nicht mehr recht geschätzt werden kann, aber gerade Kindern sollte man die Möglichkeit geben, ihren Geschichten und Entdeckungen eine gebundene Form zu geben. Wer ein Buch zum Freund hat, wird nie allein sein. Gibt es etwas Schöneres als ein aufgeschlagenes Buch, das auf uns wartet? Die Reise in die Freiheit beginnt in einem Buch. Ich habe mir jetzt mit einem Buch über Orkane Luft zugefächelt. Machen Sie das mal mit einem Tablet. „Das Buch über die afrikanischen Elefanten muß von 7 Riesen getragen werden.“ Ein Kind kriecht in ein Buch hinein und wird Teil von dessen Geschichte. Ist das Umblättern einer Seite nicht auch ein Streicheln, ein heldenhafter Eingriff und eine Weltveränderung? Ich kenne Kinder, die sich beim Lesen eines Buches über die Antarktis Handschuhe anzogen und eine Pudelmütze aufsetzten. Übrigens, nicht alle Eisbären haben einen Vornamen und wollen gesiezt werden. Ein Buch schafft Frieden und wird zum Zuhause. Manche Kinder erkennen alle Bücher schon am Einband, auch wenn sie sie nicht gelesen haben. Kinder lieben Bücher. Sie sind handlich, geheimnisvoll und riechen gut. Sie sind gesünder als Schokolade und machen nicht dick. Selbst wenn der Strom ausfällt, kann man in einem Buch darüber lesen, wie man die Sicherung auswechselt. Ein Lieblingsbuch liest man mehrfach. Es gibt Lieblingsbücher, die man unter sein Kopfkissen legt, um besser träumen zu können. Ich habe ein Kind, das hat einem Wackeltisch durch ein Buch festen Halt verschafft. Ein Buch nimmt man in die Hand, schlägt es auf und liest daraus vor. Wie leicht es ist, andere glücklich zu machen. Ich glaube an das Buch. Zeig einem Kind ein Buch, und es lernt das Leben zu achten. Natürlich, wir erleben eine tiefgreifende Revolution, vielleicht sogar das Ende des Gutenberg-Zeitalters, aber das Buch wird bleiben. Es liegt an uns, einem Kind alle Möglichkeiten der Welt aufzuzeigen. Das Gehirn nimmt sich zwei Minuten Zeit, um eine Buchseite zu lesen und bleibt eine Ewigkeit davon gefangen. So viel Zeit muß sein.
 
Erwin Grosche, Paderborn im heißen Juli 2019