Esoterische Spökenkiekerei

„Die Blüte des Einklangs“ von Naomi Kawase

von Renate Wagner

Die Blüte des Einklangs
(Vision)
(Frankreich/Japan 2018)

Regie: Naomi Kawase
Mit: Juliette Binoche, Masatoshi Nagase, Takanori Iwata, Mari Natsuki u.a.
 
In einer Welt von Zen und Teezeremonien hat die Esoterik ihren angestammten Raum, und dorthin entführt der Film von Regisseurin Naomi Kawase. Sie verlangt den Kinobesuchern sehr viel Bereitwilligkeit ab, sich auf Langsamkeit, Natur und auch Seltsamkeiten einer Handlung einzulassen, deren finale Rätsel wohl gar nicht aufgelöst werden sollen. Dort, wo die Natur, die Stille, die Magie herrschen, muß nicht alles erklärt werden.
Schon die Vorgabe ist seltsam genug: Angeblich gibt es eine mysteriöse Pflanze namens „Vision“ (der Originaltitel des Films), die nur alle 997 (!) Jahre auftaucht und wunderbar Heilkräfte haben soll. Im Wald von Yoshino, in der Nähe von Nara, leben ganz wenige Menschen und diese in völligem Einklang mit der Natur (selbst wenn gelegentlich ein Tier geschossen wird). Wenn nun eine Französin auftaucht, um „Vision“ zu suchen, kann das nur Verwirrung stiften, auch wenn diese Jeanne noch so leise und höflich auftritt und versucht, sich den Menschen und der Natur anzupassen.
 
In Juliette Binoche, die so enigmatisich lächeln kann (und es reichlich tut), hat die japanische Regisseurin eine Hauptdarstellerin gefunden, die ihrem Film internationale Beachtung sichert, während er sonst wohl nur auf ausgesuchten Festivals Chancen hätte…
Auf der Suche nach einer Pflanze, von der man weiter nichts weiß, ist keine spannende Handlung zu extrahieren, höchstens schöne Bilder des Waldes und der Natur (und die gibt es reichlich, die Kamera schwelgt geradezu). Also muß man sich an die Menschen halten.
Jeanne, die mit der Dolmetscherin Hana (Minami) gekommen ist (da läuft der Film auf Japanisch), aber dann allein in der Hütte bei den dortigen Menschen bleibt (da geht es auf Englisch über), setzt sich mit dem stillen Tomo (Masatoshi Nagase) auseinander, der hier als eine Art Waldhüter lebt. Und es dauert nicht lange, bis sie ihn, der zuerst so distanziert und abweisend ist, höchst elegant verführt. Ihre Unterhaltung ist schlicht, aber natürlich philosophisch (offen gesagt scheinen es oft poetisch verquaste Aussagen ohne wirklichen Sinn), bezieht sich auf das Leben in der Natur, mit der Natur, auf das Retten der Natur. Die alte Frau Aki (Mari Natsuki), die hier offenbar auch im Einklang mit dem natürlichen Sein lebt und andächtig die großen Bäume berührt, ist am Rande dabei.
Wenn Jeanne – man erfährt nicht, warum, man erfährt überhaupt kaum Konkretes – kurz nach Frankreich fährt, findet sie nach ihrer Rückkehr in den Wald einen weiteren Bewohner vor: den jungen Rin (Takanori Iwata), den Tomo im Wald gefunden hat. Die beiden haben offensichtlich eine besondere Beziehung aufgebaut, die Jeanne eifersüchtig macht, so daß sie schließlich auch Rin verführt. (Was sollen die japanischen Männer nur von den Europäerinnen – oder sind es nur die Französinnen? – denken?)
 
Am Ende gibt die Regisseurin dann jeglichen begreifbaren Handlungsablauf auf, vielleicht, weil auch Jeanne – die mit den Pflanzen zu reden beginnt – den Boden unter den Füßen zu verlieren scheint. Ein Hund wird erschossen, ein Baby taucht auf, der Wald brennt, von Wiedergeburt ist die Rede, Menschen, die tot sein müßten, sind wieder da, man hört die Laute des Wassers und der Vögel… und ein letzter Blick über die Bäume wird mit einem geflüsterten „Beauté“ gekrönt. Ja, schön, aber was soll es bedeuten?
Nur wenn man sich Zeit nimmt und bereit ist, mit Rätseln zu leben, statt Antworten zu bekommen, kann man diesen Film als meditativen Spaziergang betrachten. Es ist halt so mit der Spiritualität, wo immer sie einem begegnet: Wer nichts damit am Hut hat, wird den Kopf schütteln, wer sich darauf einläßt, wird sich bereichert fühlen.

 
Renate Wagner