... 'soll er hängen, hängt ihn – niedrig!'

Einwurf zur Causa Emil Nolde

von Jürgen Koller

© 1976 DuMont Verlag
... 'soll er hängen, hängt ihn – niedrig!'
 
Einwurf zur Causa Emil Nolde 
von Jürgen Koller
 
Die Überschrift ist eine Verszeile aus einem Schmähgedicht Alfred Kerrs als Antwort auf Emil Noldes harschen Brief von 1910 zur alles beherrschenden Übermacht von Max Liebermann als Präsident der Berliner Session. Seine Haltung zu Liebermann faßte Nolde in die Worte, daß er dessen „Kunst nicht achte und seine diktatorischen Mittel und seine künstlerische Machtstellung nicht respektiere.“ Diese Gedanken und weitere Vorbehalte gegen „den qualitativ ungenügend fundamentierten Kunstbau Liebermanns“ schrieb er der Redaktion der Zeitschrift „Kunst und Künstler“. Ein Sturm der Entrüstung folgte. Der scharfzüngige Kerr dichtete : „...Sieh die Richter, racheröchelnd, - - /Doch der Meister [M.L.] wehrt es lächelnd, / Bittet (mit dem großen Friedrich): / 'soll er hängen, hängt ihn – niedrig!'“ Vorausgegangen waren schnöde Zurückweisungen von Noldes Werken für Ausstellungen der Berliner Session. In seiner schnoddrigen Berliner Art hatte Liebermann verkündet: „Wenn det Bild ausjestellt wird, leje ick mein Amt nieder!“, so Emil Nolde in seiner Autobiographie „Mein Leben“. Liebermann wußte, daß er in gewissen bürgerlichen Kreisen und in Teilen der Künstlerschaft unbeliebt war, fand er doch über sich selbst (sinngemäß) folgenden Satz - „Ich werde gehaßt, weil ich Jude bin, weil ich reich bin und weil ich als Maler Erfolg habe.“ Mit einiger Gewißheit kann man annehmen, daß die Auseinandersetzung mit Liebermann Noldes Antisemitismus befördert hat. Ob Nolde „glühender“ Nazi war, wie in der Presse behauptet wurde, bedarf noch weiterer Forschungen an Hand des jetzt zugänglichen Archivmaterials. Aber belegt ist, daß die Nazi-Ideologie mit der Ausrichtung auf den deutschen Bauernstand schon Jahre vor Hitlers Machtantritt bei den Marsch-Bauern auf viel Zustimmung stieß. Gerade Bauern, die schon seit Generationen ihre Höfe bewirtschafteten (Noldes Vater besaß seinen Hof in der neunten Generation), fanden sich in der Wertschätzung durch die Nazis wieder, war doch seit Beginn des Maschinenzeitalters stets das städtische Proletariat in den Fokus der Politik gerückt worden.
 
Wenn dieser Tage ein Sturm der Entrüstung durch die Medien wehte, fehlte es oftmals an gesicherter Recherche über den Maler und Schreiber Nolde. Ja, Nolde war Nazi und Antisemit, das ist in seinen autobiografischen Schriften belegt (siehe Emil Nolde, „Jahre der Kämpfe“, Berlin 1934 sowie „Emil Nolde / Mein Leben“, DuMont Buchverlag, Köln, 1976, 10. Auflage 1996) – da wimmelt es von „deutscher Gesinnung“, „gesundem Deutschtum“, von „nationaler Erhebung“, „von Bluterbe“, und er redet auch „von der Auflehnung gegen die jüdische Macht“. Selbst in der DDR-Kunstwissenschaft, die gern mit dem Finger auf den Westen zeigte, finden sich zu Noldes NS-Haltungen und antisemitischen Anschauungen eindeutige Textbelege aus dessen Feder, so in dem vorzüglichen Band „Künstlergruppe Brücke“ von Horst Jähner, 1984 im Ost-Berliner Henschelverlag erschienen. Ja, Nolde hat seine Kunst „als nordisch bahnbrechend“ gesehen und wollte sie in den nationalsozialistischen Kunstkanon eingeordnet wissen. Aber in seinem gesamten Werk sind keine „Nazi-Devotionalien“ zu finden. Jetzt wurde in den Medien auch noch sein Malverbot in Frage gestellt.
Aber mit Schreiben vom 23. August 1941 an Nolde heißt es: „Auf Grund des §10 der Ersten DV zum Reichskulturkammergesetz vom 1.11. 1933 (RGBl.I, S.797) schließe ich Sie wegen mangelnder Zuverlässigkeit aus der Reichskammer der bildenden Künste aus und untersage Ihnen mit sofortiger Wirkung jede berufliche - auch nebenberufliche – Betätigung auf den Gebieten der bildenden Künste. gez. Ziegler. (Der üble Naturalist Adolf Ziegler, der als 'Maler des deutschen Schamhaares' in die Kunstgeschichte eingegangen ist, war Präsident der Reichskammer der bildenden Künste.) Wenn o.g. Schreiben kein Mal- und Berufsverbot ist, was ist es dann?
 
Daß Bundeskanzlerin Merkel ihre beiden Nolde-Leihgaben nicht zurück will, kann man verstehen. Bilder eines Nazi und Antisemiten im Kanzleramt sind nicht vertretbar, andererseits gab es aus dem Bundeskanzleramt kein politisches Eingreifen als ein antisemitischer Mob vor einigen Monaten israelische Fahnen auf Berlins Straßen unter den Augen der Polizei abfackelte. Walter Jens hatte übrigens bereits in seiner Rede zum 100. Geburtstag Noldes im Jahre 1967 auf die Widersprüche zwischen dem schreibenden und dem Maler Nolde hingewiesen. Der gleiche Walter Jens, der sich 2003 nach einem „Spiegel“-Artikel nicht mehr daran erinnern konnte, daß er Mitglied der NSDAP gewesen war. Und unser Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass, der sich selbst zum moralischen Gewissen der deutschen Nation hochstilisiert hatte, verschwieg bis 2006 (sic!), daß er sich mit 17 Jahren freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hatte. Für die Öffentlichkeit war er stets nur ein Flakhelfer gewesen. Und Lothar-Günther Buchheim hat eben nicht nur Expressionisten gesammelt und schöne Landschaften von der Atlantik-Küste zur Kriegszeit gemalt, sondern auch solche NS-Protagonisten des brutalen U-Boot-Krieges wie den Kommandanten Prien. Altbundeskanzler Helmut Schmidt, von Fritz J. Raddatz stets als „des Führers treuester Oberleutnant“ verunglimpft, hat seinen Offizierseid als unveräußerlichen Teil seiner Persönlichkeit gesehen – und hat das in hanseatischer Gesinnung in schlimmsten Krisen-Situationen für Deutschland unter Beweis gestellt. Er hat sich nicht daran gestoßen, sich von Bernhard Heisig aus Leipzig 1986 für die Galerie der ehemaligen Bundeskanzler porträtieren zu lassen, obwohl er gewußt haben mußte, daß Heisig 1942 freiwillig zur Waffen-SS gegangen ist und in der SS-Panzerdivision „Hitlerjugend“ bis zum bitteren Ende gekämpft hat. Natürlich sollte kein „Schlußstrich“ gezogen werden, aber es gibt Situationen in der Kunst, wo man zwischen der Person des Künstlers und dessen Ideologie und seinem Werk differenzieren muß. Sollten wir keine Zeile von Walter Jens, Günter Grass oder John Steinbeck, der den Vietnamkrieg der Amerikaner positiv gesehen hat, mehr lesen? Sollten wir kein Bild aus dem Pinsel von Bernhard Heisig, keine Gemälde in Buchheims Museum der Phantasie mehr betrachten?
Natürlich sind diese Fragen nur hypothetisch, wir sollten lesen, schauen und unsere eigene Meinung bilden. – Emil Noldes „Lebenswerk beweist, wie er den selbst heraufbeschworenen Gefahren immer wieder zu begegnen wußte und damit letztlich etwas erreichen konnte, das Größe und Grenzen seiner Meisterschaft offenbart.“
(H. Jähner). Der Disput über Nolde sollte publizistisch niedriger gehangen werden, so des Autoren 'Einwurf'.