Die Wunder

von Erwin Grosche

Foto © Harald Morsch

Die Wunder
 
Ich hörte, daß man jeden Tag sieben Wunder erleben kann, wenn man wach ist und mit offenen Augen durch die Welt geht. Ich bin mir manchmal nicht sicher, ob man alle Kleinigkeiten als Wunder bezeichnen kann, nur weil sie einen überraschen. Manches ist auch nur eine Zugabe Gottes, dem es Spaß macht, uns zu verblüffen. Ist das Entleeren der Mülleimer schon ein Wunder oder noch eine Dienstleistung, auf die wir einen Anspruch haben, weil wir Steuern zahlen? Also ich bin froh, wenn die Müllabfuhr kommt und meinen Mülleimer leert, obwohl sie gar nicht weiß, was ich dort eingefüllt habe. Ist es schon ein Wunder, wenn Lydia nach drei Jahren Funkstille wieder ein Wort mit mir spricht, auch wenn es ein „Raus!“ ist? Ist es ein Wunder, wenn meine Traurigkeit verschwindet, nur weil der Tag sich sehen läßt und die Nacht mit einem Augenzwinkern ablöst? Ist es ein Wunder, wenn die Blätter rauschen und der Regen unbeeindruckt von der Digitalisierung auf die Erde fällt?
 
Wunder
(Inschrift in einer Toilette) Laß dein Wunder zu. Vertraue deiner Vollkommenheit. Werd` so schön wie du bist. Ich habe dich lieber als all die anderen. Sei ohne Sorge. Sei umgeben von Liebe. Erblühe und entfalte dich. Die Erde ist ein Ort, um glücklich zu sein.
 

© Erwin Grosche
 Aus: Grosches Weltlexikon