„Ich glaube an die Kraft der Phantasie“

Vor zehn Jahren starb die Choreographin Pina Bausch

von Andreas Rehnolt

Pina Bausch (27.7.1940 - 30.6.2009) - Foto © Jan Minarik
„Ich glaube an die Kraft der Phantasie“
 
Am 30. Juni 2009 Jahren starb die Choreografin und Ballettchefin Pina Bausch. In Paris, Essen und Solingen wird an die Gründerin des Tanztheaters Pina Bausch erinnert
 
Von Andreas Rehnolt

Ich glaube an die Kraft der Phantasie. Wenn ich will, daß die Sonne scheint, lasse ich sie einfach aufgehen - auch in Wuppertal“. Dieser Satz von Pina Bausch, der weltberühmten Choreografin und Gründerin des nach ihr benannten Tanztheaters in der bergischen Metropole, ist auch 10 Jahre nach ihrem überraschenden Tod am 30. Juni 2009 unvergessen.
In Paris, in Essen und in ihrer Geburtsstadt Solingen finden am 10. Todestag Gedenkveranstaltungen für die Künstlerin und Prinzipalin statt. Die Kompagnie des Tanztheaters ist am Todestag in Paris. Dort präsentiert das Théâtre de la ville nach den Worten von Tanztheater-Sprecherin Ursula Popp ein umfassendes Programm zu Ehren von Pina Bausch mit einem Vortrag, Filmen, der Nelken-Reihe und einer Buchpräsentation.
Die Folkwang-Universität der Künste in Essen erinnert an vier Abenden bis zum 28. Juni mit einem Tanzabend an Bausch. Mit Genehmigung der Pina Bausch Foundation werden drei Soli aus der von der Choreografin im Jahre 1998 entwickelten Choreografie „Masurca Fogo“ gezeigt. Schließlich erinnert der Solinger Freundeskreis mit der Uraufführung des Dokumentarfilms „Pina in Solingen“ im Konzerthaus an die Anfänge der Weltkarriere von Bausch.
 
„Mich interessiert nicht, wie die Menschen sich bewegen, sondern was sie bewegt“, hatte die “Königin des deutschen Balletts“ immer betont. Ob in Südkorea, Frankreich, Italien, Japan, Russland oder den USA: Überall auf der Welt galt die schon zu Lebzeiten zur Tanzlegende gewordene Chefin des Wuppertaler Tanztheaters mit ihren revolutionären Inszenierungen als vielleicht wichtigste Choreografin des vergangenen Jahrhunderts. 
Die zierliche Frau mit der Schuhgröße 41 stand rund vier Jahrzehnte für anspruchsvolles, experimentelles Tanztheater. Charakteristisch war die Form der Präsentation, die inhaltliche Auseinandersetzung mit Grundfragen der menschlichen Existenz und nicht zuletzt die Orientierung an fremden Kulturkreisen. Ihre fast immer titellosen Inszenierungen, die oft erst Monate nach der Uraufführung einen Namen erhielten, ähnelten polyglotten Reisereportagen.
Mit ihren insgesamt 46 entwickelten Stücken, in denen sie Tänzerinnen und Tänzern „eine Sprache gab“, definierte Bausch das Genre völlig neu. Jedes Stück verstand sie auch immer als neue Aufforderung an den Zuschauer, „sich selbst zu vertrauen, zu gucken, zu fühlen“. Schauspiel, Modern Dance, Pantomime und Musical verschmolzen bei ihr zu einem neuen Stil, an dem sich Ensembles aus der ganzen Welt schon seit Jahren orientieren.
 
Schon zu ihrer Zeit als 14-jährige Schülerin an der renommierten Essener Folkwang-Schule galt Bausch als Genie. In Solingen half sie als Teenager bereits im Ensemble des städtischen Balletts aus und wurde bejubelt. Mit 18 erhielt sie ein Stipendium, um in den USA an der berühmten Juilliard School in New York zu studieren. 1961 erhielt sie ein Engagement an der Metropoliten Opera in New York. Zurück in Deutschland folgten Tourneereisen.
Bis 1973 und später wieder von 1983 bis 1989 war sie künstlerische Leiterin der Tanzabteilung an der Essener Folkwang-Hochschule. 1973 übernahm sie schließlich die Leitung der Ballettsparte an den Wuppertaler Bühnen. Seitdem trägt das Tanztheater Wuppertal ihren Namen und ihre Stücke in alle Welt. Auch wenn das klassische Ballett den Ausgangspunkt bildete, Pina Bausch hatte sich schon früh weit davon entfernt. Sie entwickelte eine ganz eigene Körpersprache und sorgte dafür, daß sich das Tanztheater etwa vor 35 Jahren endgültig im deutschen Theaterleben durchsetzte.
 
Ihre Tänzerinnen und Tänzer aus aller Welt - viele sind schon seit 30 Jahren und mehr in ihrem Ensemble - rasen, rennen, schweben, gleiten, hüpfen, stolzieren, fallen oder rollen über eine zumeist traumhaft anmutende Bühne. Requisiten waren mal Dutzende von Stühlen wie in „Café Müller“, mal Hunderte von Nelken. „Kontakthof“ hieß ihr provozierendes Stück, bei dem sie in einer Neuinszenierung Männer und Frauen ab 65 Jahren und in einer Fassung für Jugendliche Schüler aus Wuppertaler Schulen tanzen ließ.
 
Nicht zuletzt dafür, daß die Intention ihrer Stücke - meist ohne Worte - überall auf der Welt erfühlt und verstanden wurden, hat die zierliche Frau mit den großen, ausdrucksstarken Augen in vielen Ländern hohe Ehrungen erhalten. Unter vielen anderen auch den Orden der Aufgehenden Sonne des japanischen Kaiserhauses.
Nach einem Jahr voller - auch gerichtlich ausgetragener - Querelen um die künstlerische Leitung des Tanztheaters Pina Bausch scheint mit der seit Jahresbeginn im Amt befindlichen Kulturmanagerin Bettina Wagner-Bergelt wieder Ruhe und hoffentlich auch Würde in das legendäre Tanztheater eingezogen zu sein.
 
Und für das im ehemaligen Schauspielhaus von Wuppertal entstehende Pina Bausch-Zentrum startet Ende des Jahres ein Architektur-Wettbewerb. Die Finanzierung des Zentrums in Höhe von insgesamt rund 80 Millionen Euro ist fast vollständig gesichert.