Keine Ahnung

von Erwin Grosche

Foto © Harald Morsch
Keine Ahnung
 
Wenn zwei keine Ahnung haben, ist das besser, als wenn nur einer keiner Ahnung hat. Keine Ahnung zu haben braucht die Übermacht, sonst verliert sie an Würde. Der Ahnung ist es egal, wie viele herumirren und nichts wissen. Sie weiß, daß es keine Ahnung nur geben kann, weil alle nichts wissen. Wer im Unterhemd durch die Landschaft tigert, ist nicht der Weisheit auf der Spur.
Wenn drei keine Ahnung haben, ist das besser, als wenn nur zwei keine Ahnung haben. Der Gleichklang der Keine-Ahnung-Haber verhilft der Ahnung zu ihrem Recht. Wissen sie, ich kenne einen, der hat über alles eine Ahnung, aber man will das nicht von ihm hören. „Ich habe es immer schon gesagt...“, fängt er gerne seine Sätze an. Es ist angenehmer, wenn der, der keine Ahnung hat, dabei ein Stück Kuchen ißt. Wenn ein Kuchenbäcker vom Kuchenbacken keine Ahnung hat, ist das natürlich eine kulinarische Todsünde. Ich denke oft, wie gut könnte sein Kuchen schmecken, wenn er in seiner Jugend Kafka gelesen hätte.
Wenn vier keine Ahnung haben ist das besser, als wenn nur drei keine Ahnung haben. „Ahnung haben“ macht einsam. Es ist wie eine Geschwindigkeitsbegrenzung. Auch der Osterhase ist eine große kollektive Einigungsleistung. Wenn ich daran denke, welch sonderbare Städte beim „Stadt-Land-Fluß“ Spiel entdeckt worden sind, kann man nur die Koffer packen, weil man sie besichtigen will. Auch das Glück hält es aus, wenn es man es mal mit Doppel K schreibt.
Wer Ahnung hat, hat Angst und liegt vor Sorge unterm Bett. Wenn alle keine Ahnung haben, ist man dem Paradies wieder ein Stück näher gekommen. Wo liegt denn das Paradies? Dort, nein dort, nein dort. Oh, wir wundervollen Unwissenden. Das Paradies ist natürlich dort, wo man sich Fragen stellt.
 
  
© Erwin Grosche