Wie ein dunkler Zauber

„Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit“ – von Julian Schnabel

von Renate Wagner

Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit
(At Eternity’s Gate - USA, Frankreich 2018)

Regie: Julian Schnabel
Mit: Willem Dafoe, Oscar Isaac, Rupert Friend, Mads Mikkelsen, Mathieu Amalric, Emmanuelle Seigner u.a.
 
Vincent van Gogh (1853-1890), heute nicht nur Hollands Superstar, sondern einer der Könige der modernen Malerei, war, wie man weiß – flapsig gesagt – ein armer Hund. Ein Außenseiter, der gleichsam pathologisch malen mußte, immer wieder in Anstalten abgeschoben wurde und der aus seinem Elend ein grandioses Gesamtwerk entstehen ließ.
Dieses Schicksal und dieses Gesicht, von ihm immer wieder auch selbst dargestellt – kein Wunder, daß er auf die Kinoleinwand drängte. Es gibt fast zu viele Filme über ihn, und im Grunde wird man sich ja doch an das Zweigespann Kirk Douglas als van Gogh und Anthony Quinn als Gauguin erinnern (1956 in „Lust for Life“, Regie: Vincente Minnelli), einfach weil die größten Persönlichkeiten am Werk waren, die die großen Männer am nachdrücklichsten umrissen. Erst der nunmehrige Film von Julian Schnabel wird künftig, dank Willem Dafoe als van Gogh (mit der deutschen Stimme von Reiner Schöne) und der schlechtweg außerordentlichen Kameraführung, damit in einem Atemzug genannt werden. Und Regisseur Julian Schnabel? Nun, der ist bekanntlich auch Maler, und das gibt ihm ein wunderbares Feeling für den Kollegen… (Vor mehr als 20 Jahren hat er ja schon Basquiat ein bemerkenswertes Porträt gewidmet.)
 
Es geht – wie eigentlich immer – um van Goghs letzte Lebenszeit in Südfrankreich, aber der Film erweckt nicht den Eindruck eines üblichen „Biopics“, obwohl er historisch fundiert ist. Ganz eindeutig wird auf die Seelenstudie eines Künstlers abgezielt – daß die wackelnde Kamera von Benoît Delhomme, die in Wiesen und Bäume schaut, die Welt mit van Goghs Augen betrachtet, ist eines der prägendsten Hauptelemente dieses Films – wie die Natur auf ihn einstürmt und nach Gestaltung verlangt. Für den Zuschauer wirkt das so faszinierend wie die musikalischen Klänge dazu, nicht rauschende „Filmmusik“ im klassischen Sinn (Tatiana Lisovskaya), sondern ein komplementärer Beitrag zu dem absolut nicht harmonisierenden Stimmungsbild.
Impressionistisch hingetupft, erlebt man van Gogh nicht nur bei der Arbeit, von der er manisch besessen ist, sondern auch in Konfrontation mit seiner Umwelt: Gauguin ist hier in Gestalt von Oscar Isaac weniger das ähnlich schrullige Originalgenie, sondern einer, der seiner Arbeit glatt gegenübersteht und weiß, daß er und Vincent an einem Ort sich zu sehr beengen würden, weshalb er seinen Besuch in Arles bald wieder abbricht. Eine beklemmende Szene gibt es mit einem Priester (Mads Mikkelsen), der ihm sagt, seine Kunst sei häßlich und folglich nicht gottgefällig, was van Gogh in seinem künstlerischen Selbstvertrauen ruhend gelassen hinnimmt. Unverzichtbar der Bruder Theo (Rupert Friend), immer für ihn da. Die Wirtn (Emmanuelle Seigner), der Arzt (Mathieu Amalric), Teil seines Lebens und Modelle für berühmte Bilder. Kinder, die ihn verspotten, als er im Freien malt.
Und da ist auch noch die Theorie, daß van Gogh, der sich tatsächlich selbst ein Ohr abgeschnitten hat (herzzerreißend bis heute die Selbstporträts, die ihn mit dem Verband um den Kopf zeigen), nicht Selbstmord begangen hat. Vielmehr wurde er ein Opfer wilder Jugendlicher, die ihn durch einen Schuß tödlich verletzen – was er niemandem sagte. Man weiß es nicht, aber man könnte es glauben.
 
Natürlich ist der Film nur denkbar durch Willem Dafoe und den stummen Ausdrucksreichtum seines von Leben, Trauer und Falten gezeichneten Gesichts: Man meint, er sei aus den Bildern van Goghs gestiegen. Aus ihm spricht die Entschlossenheit des Künstlers, für den es nichts gibt als seine Malerei, egal, wie seine Mitmenschen ihm gegenüber stehen – zweifelnd, skeptisch, verächtlich, abwertend. In den Augen der Mitwelt mag er verrückt gewesen sein. Schnabels Film zeigt das „Hier stehe ich und kann nicht anders“ des Genies. Wer etwas für van Gogh übrig hat, kann sich in diesen Film wie in einen dunklen Zauber hinein fallen lassen.
 
 
Renate Wagner