Das Chaos hat einen Namen: Malpensa

Eine Reiseglosse

von Frank Becker

Reisewarnung


Verehrter Reisender, gewöhnlich spricht das Auswärtige Amt Reisewarnungen aus, um Schaden von Bürgerinnen und Bürgern abzuwenden, die vorhaben, sich in unsichere Gebiete zu begeben. Gestatten sie, daß ich mich einmal in diese offiziellen Kompetenzen einmische um eine Warnung auszusprechen, die vom eigenen Erleben  geprägt ist. Man wird sie an diesem Ort, vor dem ich warne, nicht beschießen oder entführen. Er liegt auch nicht in irgendwelchen Krisengebieten, sondern mitten im friedlichen, schönen Italien. Es ist der Mailänder Flughafen „Malpensa“. Sie werden dort auch nicht ausgeraubt, na ja  vielleicht ein bißchen, wenn ich an die Preise in den Flughafenbistros denke. Sicher haben sie vorgehabt, ihren vergnüglichen Italien-Urlaub mit einer entspannten Heimreise abzuschließen. Spätestens in Mailand-Malpensa ist das Vergnügen zu Ende.

Die Anfahrt vom schönen Milano ist weit und man hat beim Durchfahren der öden, häßlich zersiedelten Gegend Gelegenheit, sich intensiv von den Schönheiten Mailands, Turins und des bezaubernden Piemont zu verabschieden. Mit schwerem Gepäck – ist ihr Koffer bei der Abreise auch immer voller als bei der Ankunft ? – kommen sie an, finden auch den Schalter ihrer italienischen Fluglinie, an dem grade erfreulich wenig Betrieb ist. Sie wünschen einzuchecken und das Gepäck los zu werden. Fehlanzeige! Sie sind zu früh. Da könnte ja jeder kommen, wann er will. „No Signore, mi dispiache...“. Kommen sie doch in einer Stunde noch mal vorbei. Also karren sie ein Weilchen ihr Gepäck durch die langweilige Halle und kehren zum Tatort zurück. Jetzt stehen dort an jedem Desk zwanzig Reisende mit je vier Koffern, dazu Hutschachteln, Surfbrettern, Bergen von Duty-Free-Tüten und ondulierten Schoßhündchen. Das dauert. Weil die mitleidige Dame sie wiedererkennt, dürfen sie ohne viel Protest der Mitreisenden zwischendurch in die Schlange schlüpfen. Geschafft.

So, nun nur noch zum Security-Check und ab nach Hause. Denkste. Auf der Rolltreppe abwärts zur Abflughalle A schwant ihnen Böses: eine schier endlose Menschenschlange staut sich bereits bis zum Fuß der unablässig weitere Flugwillige hinunter transportierenden Treppe. Dann sehen sie das nackte Chaos: ausgerechnet am Sonntagnachmittag – „Prime Time“ für Heimreisende – haben sich die Betreiber dieses Weltflughafens entschlossen, gerade mal zwei Kontrollpunkte für einen wahren Lindwurm von etwa 600 wartenden (und zahlenden) Fluggästen zu öffnen. Der Flug geht in 60 Minuten – rechnen wir mal... Neidvoll geht der Blick zu einem Durchlaß für Personal, den nur alle fünf Minuten ein Angestellter passiert, der aber dennoch besetzt bleibt. Plötzlich geht ein Ruck durch die schweigende Menge, Applaus brandet auf: ein drittes Türchen wird geöffnet! Hoffnung keimt nach 35 Minuten quälenden Stehens. Also – ich habe die Maschine noch erreicht, mein mitreisender Kollege etwas weiter hinten in der Schlange auch. Aber es hat doch arg an den Nerven gezerrt, und das scheußliche Gummibrötchen als Verpflegung auf dem Flug konnte diese Scharte auch nicht auswetzen. Das Chaos hat einen Namen: Malpensa.