Anleitung zum Unglücklichsein

„Der Drang“ - Volksstück von Franz Xaver Kroetz im Theater am Engelsgarten

von Frank Becker

v.l.: Konstantin Rickert, Stefan Walz, Maresa Lühle, Philippine Pachl - Foto © Uwe Schinkel

Anleitung zum Unglücklichsein
 
„Der Drang“
Volksstück von Franz Xaver Kroetz
in einer Inszenierung von Peter Wallgram und Barbara Büchmann
 
Inszenierung: Peter Wallgram - Mitarbeit Regie: / Assistenz Barbara Büchmann - Bühne & Kostüme: Sandra Linde - Choreinstudierung: Markus Baisch – Dramaturgie: Barbara Noth – Inspizienz: Charlotte Bischoff
 
Besetzung: Hilde, Kräftige Vierzigerin: Maresa Lühle - Otto, ihr Mann: Stefan Walz - Mitzi, unscheinbare Dreißigerin: Philippine Pachl - Fritz, jung, Bruder von Hilde: Konstantin Rickert
 
Schwitzige Arrangements und verzweifelte Bekenntnisse
 
Franz Xaver Kroetz, dessen große Theater-Zeit in der Mitte der 1970er Jahre stattfand, ist einer, der die Tinte nie halten konnte. Seine Œuvre-Liste verzeichnet aktuell neben vielem anderen allein 64 Theaterstücke, die allerdings zu großen Teilen nie aufgeführt worden sind. Immerhin haben es doch etliche auf die deutschen Bühnen geschafft – in Wuppertal waren es
- 1975 Oberösterreich und Wunschkonzert - inszeniert von Andreas Gerstenberg
- 1977 Das Nest - inszeniert von Bernd Leifeld
- 1977 Agnes Bernauer - inszeniert von Andreas Gerstenberg
- 1994 Ich bin das Volk (UA Wuppertaler Bühnen), inszeniert von Holk Freytag
Und jetzt knüpft das Wuppertaler Theater in einer Ausgrabung aus dem Jahr 1994 mit seinem  „Volksstück“ genannten Drama „Der Drang“ (zweite Bearbeitung von Lieber Fritz ) auf der Bühne des Wuppertaler Theater am Engelsgarten an die Kroetzsche Aufführungshistorie hier an.


Stefan Walz, Maresa Lühle - Foto © Uwe Schinkel

Die Geschichte: Fritz (bewegend: Konstantin Rickert) ist gerade aus dem Gefängnis entlassen worden und kommt bei seiner Schwester Hilde (ungemein witzig: Maresa Lühle) und dem Schwager Otto (wie aus Kroetz´ Bilderbuch gesprungen: Stefan Walz) unter, die eine Friedhofsgärtnerei betreiben. lm schwülen Treibhaus der sexuell frustrierten Eheleute und ihrer notgeilen Angestellten Mitzi (hinreißend vielschichtig und berührend: Philippine Pachl) heizt Fritz' Anwesenheit die Fantasien an - immerhin wurde er wegen Exhibitionismus verurteilt. Otto ist geradezu besessen von der sagenhaften Triebhaftigkeit des Schwagers und fürchtet sich vor „Ansteckung“. Mitzi versucht erst Fritz zu verführen, bändelt dann mit Otto an und bekommt Krach mit Hilde - bis hin zum heimtückischen Stoß ins offene Grab! Der „Drang“ macht Menschen zu egomanen Monstern, die andere benutzen. Aber ohne „Drang“ ist man - wie Fritz, der triebhemmende Mittel nehmen muß, - zum Opfer, Außenseiter und zur Zielscheibe des Spottes bestimmt. 
 

Die Liiiiebe... - Stefan Walz, Philippine Pachl - Foto © Uwe Schinkel

Peter Wallgram inszeniert das die seelische und sexuelle Not aller vier Beteiligten sprachlich drastisch und schonungslos aufdeckende Stück in einer burlesken Mischung aus Bauerntheater und Hanswurstiade – eine Anleitung zum Unglücklichsein. Man wühlt im besten Wortsinn im Dreck, beschmutzt sich, exhibitioniert sich in aberwitzigen Nackt-Masken, kopuliert und taucht von Szene zu Szene aus der von Gartenerde bedeckten Bühne durch Vagina-Öffnungen auf und durch dieselben auch wieder ab – zurück in die Sicherheit des Uterus.
Aber eine Sicherheit gibt es immer nur, so lange eine Emotion hält. Und die Liebe, nach der alle schreien, die alles gut machen könnte… gibt es wohl auch nicht. Was es für einige Momente gibt, sind hitzige, schwitzige Arrangements und verzweifelte Bekenntnisse, die nur so lange halten wie eine Erektion. Peter Wallgram und Barbara Büchmann, die auf halber Strecke wegen einer schweren Erkrankung Wallgrams die Regie übernehmen mußte, illustrieren all das deftigst mit den Kostümen von Sandra Linde. Die vier Schauspieler geben mit sichtlichem eignem Vergnügen alles, begeistern mit dumpfer Gier (Walz), erotischer Sehnsucht und intriganter Raffinesse (Lühle), stillem Leiden (Konstantin Rickert) und verzweifelter Einsamkeit (Pachl). Philippine Pachl schießt, wie man landläufig so sagt, in ihrer mitnehmenden Darstellung der Mitzi den Vogel ab.
Das Publikum nahm die durch köstliche a-cappella-Chöre musikalisch veredelte Inszenierung eher ein wenig reserviert auf, was sich auch spürbar im zurückhaltenden Applaus äußerte. Einen weiteren Kroetz brauchen wir hier, glaube ich, auch erst frühestens in 25 Jahren wieder.
 
Aufführungsdauer: Ca. 1 Stunde 40 Minuten, Keine Pause
 
Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de