Nicht sein – keine Frage!

Thorsten Pitolls glücklose Wuppertaler Inszenierung des „Hamlet“

von Frank Becker

Kuschmann, Birnstiel - Foto © Michael Hörnschemeyer
Nicht sein – keine Frage!
 
Thorsten Pitolls glücklose Inszenierung des „Hamlet“
hinterließ eine Menge Fragezeichen und einen schalen Geschmack.
 
Von Heiner Müller, der sich selbst gerne als Genie sah, ist man Überraschungen gewöhnt, mal positiv, mal Entsetzliches wie die „Hamletmaschine“ - aber immer Anlaß für angeregte Diskussionen. Daß er dem klassischen „Hamlet“ Shakespeares vor fast 20 Jahren in der DDR eine frische Übersetzung angedeihen ließ, machte auf jeden Fall neugierig auf das Ergebnis.
Nun ist vor eine erfolgreiche Aufführung das Konzept des Regisseurs gesetzt. In diesem Fall war das Thorsten Pitoll, der am Wuppertaler Schauspiel bereits „Die Wupper“ mit Niedrigwasser inszeniert hatte. Mit seinem Hamlet hat er den Pegelstand nicht anheben können.
 
Beim Vorspiel dräut wie ein Menetekel auf dem eisernen Vorhang besagte Wupper, zwei Soldaten in dänisch empfundenen Zinnsoldaten-Uniformen mit Gewehr patrouillieren – der Vorhang geht hoch: Bühne, Ausstattung, Kostüme (Donald Becker) so langweilig, einfallslos und fad wie die Übersetzung, gewollt, aber nicht gelungen. Stühle im skandinavischen Design machen nicht Schloß Kronborg – und ein Krinolinen-Kleid im Burberry-Muster ist alles andere als „shakesperian“. Treppauf, treppab geht es von der  häßlichen Galerie ans Mikrophon, Aufmarsch des Personals. Ophelia (Maresa Lühle) in besagter Krinoline und mit germanischen Schnecken fehlbesetzt, der brillante Andreas Möckel als Claudius völlig verschlissen, Bernd Kuschmann wankt als grotesker Canterville Ghost ächzend durch die Szene wie im B-Movie „The Return of the Mummy“ und Julia Wolff bleibt trotz bunter Vampirella-Garderobe als Gertrud so farblos wie die Bühne.
 
Thomas Birnstiel hingegen gibt trotz ihm umgehängter Schmuse-Mehrzweckdecke einen ordentlichen Hamlet, der mit viel Verve seine unendlich schwere Rolle aufnimmt, dem von Legionen Schauspielern ausgeschlachteten Hamlet Konturen geben und beinahe fesseln kann. Mehr verhindert allerdings die ohne jede Spannung dahin plätschernde Inszenierung, nach der Pause ist dann jene Verve gänzlich hin. Die als kläglicher Ersatz für Qualität eingesetzten Effekte wie ein Red Nose Day auf dem Gottesacker, Gertrud in Strapsen und Hi-Heels und die bereits bemängelte Ausstattung machen aus diesem Hamlet ein Debakel. Da wird mit Pistolen gefuchtelt, Polonius (Andreas Ramstein) stirbt durch eine Kugel – ein Jammer, denn Ramstein war der einzige durchweg bemerkenswerte Darsteller dieser Aufführung – und als es ans kollektive Sterben geht, wird schmerzlich deutlich, daß Fechten wohl nicht mehr zur Schauspielausbildung gehört – es ist ein ungelenkes Hauen und Stechen. Und gestorben wird beinahe komisch. Da liegt kein Segen drauf.
 
Frank Becker, 23.9.05